Volltext: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs Nr. 23 (Nr. 23 / 2013)

54 Gernot Heiss Die Frage, ob er selbst von dem Sturz aus dem Bett wüßte, verneinte er und bekräftigte sein ‚Nein’ mit den Worten: ‚Die Mutter hat es aber gesagt’.“24 Nach den Beobachtungen der Fürsorgebeamten verprügelte die Mutter nur Othmar, während sie die anderen Kinder „verwöhnt[e] und sichtlich bes- ser behandelt[e]“25 und zum 1945 geborenen Säugling „sehr innig“ war.26 Alle Kinder seien sauber gehalten, heißt es in den Akten, es gab also keine äußere Verwahrlosung. Die Mutter lehnte die Fürsorgebeamten völlig ab; sie wurde „bei jeder Rücksprache renitent“27, und die Babyausstattung für ihren 1945 geborenen Sohn lehnte sie mit den Worten ab: „Sie brauche nichts vom Jugendamt!“28 Im konsequenten Leugnen der Herkunft der blauen Flecken durch den misshandelten Knaben wird deutlich, dass die Mutter die Abschot- tung der Familie auch bei ihren Kindern durchsetzte. Die Ablehnung der Fürsorge, die nicht als Unterstützung, sondern nur als Kontrolle empfunden wurde, war und ist gewiss ein weit verbreitetes Phänomen. Diese Kontrolle wurde durch die rechtliche Zurücksetzung der allein stehenden Mutter wohl noch stärker empfunden. (Einiges änderte sich hier durch die Reformen in der „Ära Kreisky“, und erst 1991 konnte eine Mutter auch die gesetzliche Vertretung für ihr uneheliches Kind übernehmen.29) Im Fall der Familie Zecher dürfte die Abwehrhaltung gegen das behördliche Eindringen in den Bereich der Familie, worin Mutter und Kinder einig waren, auch eine der Wurzeln für das spätere anarchistische30, gegen staatliche Kontrollorgane gerichtete Denken Zechyrs gewesen sein. Die Situation änderte sich im Sommer 1946: Im März 1946 hatten Haus- parteien noch den Fürsorgebeamten herbeigerufen, weil die Mutter „auf ihr Kind Ot[h]mar wieder einmal besinnungslos einschlug“.31 Im September bemerkten die Hausparteien nichts mehr von „schlechter Behandlung“.32 Der Lehrer berichtete im folgenden Schuljahr, dass „der Schüler [...] sehr brav 24 AStL, Fürsorgeakt Zecher, Lehrerin an das Stadtjugendamt Linz, 8.11.1944 25 AStL, Fürsorgeakt Zecher, Aktenvermerk des Jugendamtes, [erste Hälfte 1944] 26 AStL, Fürsorgeakt Zecher, Aktenvermerk des Jugendamtes, 30.1.1946 27 AStL, Fürsorgeakt Zecher, Aktenvermerk des Jugendamtes, [erste Hälfte 1944]: „und rühmt sich der guten Pflege u. Erziehung ihrer Kinder,“ 28 AStL, Fürsorgeakt Zecher, Aktenvermerk des Jugendamtes, 30.1.1946 29 Nach den Reformen 1970 hatte die Fürsorge noch die gesetzliche Vertretung des unmün- digen unehelichen Kindes behalten; vgl. „Als lediges Kind geboren …“ Autobiographische Erzählungen. 1965 – 1945. Hg. v. Petr Eigner u. a. (Wien/Köln/Weimar 2008) 319 30 Zu Zechyrs individualanarchistischer Einstellung vgl. Dieter Schrage, Othmar Zechyr, ein Zeichner, ein „Anarchist brut“, ein Freund. In: Zechyr, Zeichnungen 63-65 31 AStL, Fürsorgeakt Zecher, Aktenvermerk des Jugendamtes, 13.3.1946: Die Kindsmutter „äußerte u. a.: ‚lieber einen toten als einen ungeratenen Sohn!’ Bezügl. des H[au]sb[esuchs] und der Hausparteien äußerte sie, daß sie nächstens den Jungen in den Wald zerren und ihn dort schlagen werde, wenn sie schon im Hause nicht machen kann, was sie will. Der K[inds]- m[utter] Mißhandlung und Anzeige vor Augen geführt und entsprechend ermahnt.“ 32 AStL, Fürsorgeakt Zecher, Aktenvermerk des Jugendamtes, 26.9.1946
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