Volltext: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs Nr. 23 (Nr. 23 / 2013)

Die Vereinnahmung des Brauchtums durch den Nationalsozialismus 45 versuchte Baldur von Schirach als Gauleiter ab 1941 an die ehemalige kultu- relle Bedeutung der Stadt anzuknüpfen und „wienerische Kultur“ zu forcie- ren, freilich aus rein persönlichen, egoistischen Gründen. In größerem Umfang war es jedoch nur die Steiermark, wo versucht wur- de, sich von der Berliner Abhängigkeit zu lösen und eine betont steirisch- eigenständige, freilich dennoch nationalsozialistische Kulturpolitik zu betreiben. Der dafür verantwortliche Kulturlandesrat Josef Papesch berück- sichtigte dabei nicht nur die besondere geographische Lage als „Grenzgau“, sondern auch das besonders im katholischen Bauerntum vorhandene behar- rende Element. So äußerte er sich 1943/44: „ Es ist nicht zu verlangen, dass erwachsene Menschen ihre ganze Weltanschauung in so kurzer Zeit umwer- fen, es ist für diese Generation genug geleistet, wenn an der Wegräumung der Hemmnisse gearbeitet wird. Der Reichsgedanke wird gepflegt, wenn wir Heimatliches bringen, denn damit verteidigen wir die Heimat und ihre Werte und wer die Heimat verteidigt ist für sein Volk und das Reich, innerhalb dessen seine Heimat liegt.“8 Bekannte brauchtümliche Elemente wurden vielerorts eingesetzt, um die Bevölkerung zur möglichst großen Teilnahme zu animieren. So etwa im Landkreis Tamsweg, wo das parteiliche Erntedankfest 1942 mit einem Volksfest kombiniert wurde, sodass man feststellen konnte, „es war erfreu- lich, mit welch unwiderstehlicher Anziehungskraft heute noch das alte Volksbrauchtum die Bauern selbst von den entlegensten Berghöfen anzog. Es wurde somit erreicht, dass Volksgenossen, die bisher alles, was mit der Partei nur irgendwie zusammenhing, ängstlich mieden, da waren und in be- geisterten Worten über das Erntedankfest sprachen. Wie wichtig gerade die Brauchtums- und Volkspflege auch im Kampf gegen den konfessionellen Gegner ist, hat die Erntefeier im Landkreis Tamsweg gezeigt, wo in vielen Orten die Bauern nicht zur Kirche gingen und lieber den weiten Weg nach Tamsweg zurücklegten, um zum Erntedankfest zurecht zu kommen“.9 Im nationalsozialistischen Deutschland gewannen vor allem die Sonn- wendfeiern als Weihefeste der Staatsjugend neben den Parteigedenktagen an Bedeutung. Auf relativ einfache und bildliche Weise konnte hier die roman- tisierende Rückwendung des Nationalsozialismus zu einer germanischen Mythologie umgesetzt werden. Die erwähnte Feuer- und Licht-Symbolik konnte sich hier voll entfalten. Zudem wurde, vor allem bei der Winterson- nenwende, die wachsende Sonne als Symbol des wiedererstandenen Deutschlands aus der Not des Versailler Vertrages interpretiert, während 8 Stefan Karner, Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945 (Graz 31944) 189-205 9 Christoph Kühberger, Grenzen der Inszenierung – Die Störanfälligkeit von NS-Veranstal- tungen in Österreich. In: Jahrbuch des OÖ Musealvereines Gesellschaft für Landeskunde 145 (2000) 203-204
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