Volltext: England als Seeräuberstaat

Der Widerspenstigen Zähmung. 
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nicht erspart bleiben, bei einer etwaigen Landung feindlicher 
Truppen auf britischem Boden einmal selbst zu erleben, was es 
heißt, Privateigentum von der feindlichen Kriegsmacht geraubt oder ver 
nichtet zu sehen. Es ist ein völlig unhaltbarer Zustand, daß Güter, die der 
Beschlagnahme oder Zerstörung ausgesetzt sind, solange sie auf dem Wasser 
schwimmen, mit dem Augenblick unverletzlich werden, wo man sie auf dem 
Festland niederstellt. Allzu offenkundig wurde dieses Kapitel des Völker 
rechts nur im britischen Interesse beibehalten. England wird sich daher ent 
scheiden müssen, ob es für den Kampf auf eigenem Boden dieselben Grund 
sätze, die es im Seekrieg bisher nicht verabschieden wollte, ebenfalls ange 
wendet zu sehen wünscht — oder ob es auf die Barbarei der Bekämpfung des 
feindlichen Privateigentums zu Lande und zur See Verzicht leisten will. 
Geschieht das letztere, so würde nicht nur eine neue Epoche des Völker 
rechts anbrechen, sondern die Rüstungen zur See würden einen 
anderen Charakter gewinnen. Die Aufgabe jeder Seemacht ist 
heut eine vierfache: sie soll die feindlichen Streitkräfte angreifen; die eigenen 
Küsten decken; den feindlichen Handel stören; endlich den eigenen schützen. 
Für die beiden letzteren Zwecke wird im Kriegsfall eine sehr erhebliche Zahl 
von Schiffen gebraucht, die erspart werden könnte, entschlössen sich die Na 
tionen, das Seebeuterecht zu beseitigen, das aller Welt (mit Ausnahme Eng 
lands) als unwürdige Barbarei erscheint und das (wie nun auch dieser Staat 
sieht) eine zweischneidige Waffe ist. 
Je ärger das Seekriegsrecht mißbraucht, je schlimmer 
es vergewaltigt wurde, desto dringender pflegte der Wunsch nach seiner Wei 
terbildung hervorzutreten. Solange ein Recht, das allenthalben als arges 
Unrecht angesehen wird, nur selten benutzt wird, solange seine Anwendun 
gen sich auf wenige Fälle beschränken, pflegt man sich mit seinem Fortbestehen 
abzufinden, während die Welt dagegen Sturm läuft, sobald die Zahl der Un 
gerechtigkeiten sich mehrt, zu denen es mißbraucht wird. Bedeutsame Fort 
schritte im Rechtswesen pflegen namentlich dann zustande zu kommen, sobald 
etwas, was von der öffentlichen Meinung als unberechtigte Gewalt empfun 
den wird, sich dem allgemeinen Anblick aufdrängt. Völkerrechtlich 
rückständige Anschauungen können sich Jahrzehnte und Jahr 
hunderte erhalten, wenn sie nicht in die Tat umgesetzt werden. Sobald jedoch 
die Kriegführung einer Nation zur See oder zu Lande in unerträglichen 
Gegensatz zu dem Gewissen der Kulturvölker tritt, pflegt eine starke Bewegung 
sich auf ihre Wschaffung zu richten. 
Dieser Fall liegt jetzt für das Seekriegsrecht noch entschiedener vor als in 
den letzten l x / 2 Jahrhunderten, in denen kein Volk mit Ausnahme des eng 
lischen damit zufrieden war. Auch in Großbritannien allerdings haben Män 
ner, die den wirklichen Anspruch darauf erheben können, Kulturführer zu 
fein, ihre Stimme gegen die Beibehaltung der brutalen Grundlagen er-
	        
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