Volltext: Nr. 7/8 1932 (Nr. 7/8 1932)

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Nachrichten 
Nr. 7/8 
die österreichische Industrie sich für den Absatz im Aus- 
lande umstellen mußte. Das, geehrte Kameradinnen und 
Kameraden, bedeutete, daß sie die Konkurrenz mit den 
großen Industrien der Weltstaaten aufnehmen mußte. 
Das war selbstverständlich eine sehr schwere Aufgabe für 
die österreichische Industrie. Sie war nun durch die Ver- 
Hältnisse gezwungen, eine vollständige Umstellung vorzu- 
nehmen, sich einzustellen auf die Produktion für den Ab- 
satz ins Ausland. Aus verschiedenen Gründen, die wir hier 
nicht des Näheren erörtern wollen, war es der österreichi- 
schen Industrie nicht immer möglich, siegreich aus dem 
Konkurrenzkampf mit dem Ausland hervorzugehen. Die 
Gebiete der Staaten, die ehemals zur österreichisch-unga¬ 
rischen Monarchie gehörten, haben zum Großteil ihre 
nationalen Industrien aufgerichtet und schützen diese na- 
tionalen Industrien durch hohe Zölle. Das haben aber 
nicht nur die sogenannten Nachfolgestaaten gemacht. Nicht 
nur sie haben ihre künstlich aufgezüchteten Industrien vor 
)er Konkurrenz des Auslandes dadurch geschützt, daß sie 
ich mit hohen Zollmauern umgaben, das haben auch alle 
>ie großen Industriestaaten der Welt getan. Durch diese 
wahnsinnigen Zollmauern, mit welchen sie sich von der 
Welt und von einander abschließen, bewirken sie ein 
wirres Durcheinander, bewirken sie aber vor allem, daß 
die Produkte aller Industriezweige und auch die Produkte 
der Landwirtschaft in ihren Pressen so hoch gehalten wer- 
den, daß sie mit den Preisen der Urprodukte in keinen 
Einklang und in kein Verhältnis zu bringen sind. Es ist 
eine bekannte Tatsache, daß die Urprodukte für die In- 
dustrie auf dem Weltmarkt um 30, 40, 50 und noch mehr 
Prozent gefallen sind, daß die fertigen Produkte aber im 
Preise nicht billiger, sondern, wenn schon nicht teurer, so 
zumindest im Preise gleich geblieben sind. 
Nun kommen diese Gebiete der ehemaligen österrei- 
chisch-ungarischen Monarchie für den Absatz der öfter- 
reichischen Jndustrieprodukte weitaus nicht mehr in jenem 
Umfange in Frage als einstmals. Oesterreich leidet so 
doppelt unter diesen Zuständen und Verhältnissen. Ein- 
mal durch die Weltwirtschaftskrise und außerdem durch 
die sogenannte strukturelle Krise als Folge des Krieges 
und der sich daran anschließenden Ereignisse. 
Gegen die Folgen der Weltwirtschaftskrise anzukämp- 
fen ist für einen so kleinen Staat, der im internationalen 
Leben von so vielen Bedingungen abhängig ist, fast un- 
möglich. Diese Weltwirtschaftskrise zu bekämpfen, ist nur 
im internationalen Zusammenwirken möglich. Ob die 
alten überlieferten Mittel, die in früherer Zeit angewen¬ 
det worden sind, um Krisen zu beseitigen, hiefür aus- 
reichen, ist eine Frage, die nicht wir zu beantworten 
haben. Aber es besteht allem Anscheine nach die Notwen- 
digkeit, neue Wege zu gehen, denn all das, was bisher an- 
gewendet worden ist, um die Weltwirtschaftskrise zu be- 
seitigen, hat fehlgeschlagen. Alle die alten Mittel haben 
vollständig versagt, alle die alten Wege, die man zu gehen 
versucht hat, haben abseits geführt. Aber gegen diese spe- 
zififch österreichische Krise, unter der wir leiden, anzu- 
kämpfen, wäre gewiß mit einiger Aussicht auf Erfolg 
möglich. Dazu bedarf es einer ruhigen und friedlichen 
Entwicklung der innerpolitischen Verhältnisse. Es wäre 
notwendig, daß wenigstens für diese Notzeit die trennen- 
den Fragen beiseite gestellt und das Einigende in den 
Vordergrund gerückt wird. Wenn diese Voraussetzungen 
erfüllt werden, dann ist es unserer Auffassung nach mög- 
lieh, Handels- und finanzpolitisch jene Wege zu gehen, die 
unsere Industrie befreien und es der Landwirtschaft er- 
möglichen, ihre Existenz sicherzustellen. Wenn wir immer 
und immer wieder betonen, daß es notwendig ist, die 
Voraussetzungen zu schaffen, die es ermöglichen, jene 
Wege zu gehen, die eine Aenderung der Lage herbei- 
führen sollen, so wollen wir dadurch zum Ausdruck brin- 
gen, daß wir an diesen Fragen lebhaft interessiert sind. 
Denn, wenn es möglich wird, unserer Industrie wieder 
Absatz zu verschaffen, wird die Zahl derjenigen, die vom 
Fluche der Arbeitslosigkeit betroffen sind, vermindert wer- 
den können. Dann werden auch die Kriegsbeschädigten 
und Kriegerwitwen leichter im Erwerbsleben unterkom¬ 
men können, dann werden sie leichter die Möglichkeit 
haben, im Produktionsprozeß Eingang zu finden, dann 
werden auch für sie die Voraussetzungen geschaffen für 
eine bessere Lebenshaltung, die die breite Masse des Vol- 
kes so unbedingt notwendig hat. Damit würden auch die 
Voraussetzungen geschaffen, die Agrarkrise, unter deren 
Folgen letzten Endes nicht nur die landwirtschaftliche Be- 
völkerung, sondern alle Schichten des Volkes leiden, wenn 
schon nicht ganz zu beheben, so doch zu mildern, daß ein 
Erfolg für alle Schichten der Bevölkerung zutage käme. 
Zu den krisenhaften Zuständen, von denen ich vorhin 
gesprochen habe, hat sich noch die Geld- und Finanzkrise 
gesellt, die die Wirtschaft ungünstig beeinflußt. Erinnern 
Sie sich, daß nicht nur in diesem Lande seit einer Reihe 
von Jahren ein großes Bankensterben eingesetzt hat, son- 
dern daß auch in anderen großen Ländern das Banken- 
sterben ebenso vor sich gegangen ist, daß in Deutschland 
draußen große führende Banken, die nicht nur in innigen 
Beziehungen mit der deutschen, sondern auch in wesent- 
lichem Ausmaß in Beziehung mit der Industrie des Aus- 
landes gestanden haben, zusammengebrochen sind, daß in 
Italien die Banken den Weg nach abwärts beschritten 
haben. Daß wir in Oesterreich unter diesen Verhältnissen 
noch schwerer zu leiden haben als das in anderen Län- 
dern der Fall ist, hat eben seine Begründung in den Ver- 
hältnissen unter denen wir leben. Die Währung vieler 
Staaten ist durch diese Geld- und Finanzkrise ins Wanken 
geraten. Auch wir in Oesterreich sind eine Zeitlang vor 
der drohenden Gefahr der Währungseinbuße gestanden 
und noch heute ist das Mißtrauen gegen den Schwing 
noch nicht ganz behoben, noch heute liegen Tausende von 
Schillingen unfruchtbar irgendwo in einer Tischlade oder 
im Strumpf versteckt, sind so der österreichischen Wirt' 
schaft entzogen, vermehren die wirtschaftliche Not, ver- 
mehren die Arbeitslosigkeit, vermehren Elend und Not 
in den breiten Massen des Volkes. Alle diese Ereignisse 
haben dazu beigetragen, den Staatshaushalt in Unord- 
nung zu bringen. Bei den Versuchen, einen Ausgleich zu 
schaffen, kamen vor allem die öffentlichen Angestellten 
aller Kategorien als Sanierungsopfer in Betracht. Aber 
auch die unglücklichsten Opfer dieser Weltwirtschafts- 
krife, die Arbeitslosen, wurden hiezu herangezogen. Es 
ist eine längst bekannte Tatsache, daß es die breiten 
Massen des Volkes sind, die zur Sanierung des Staats- 
Haushaltes in erster Linie beitragen müssen. Sie werden 
zum größten Teil doppelt das Opfer, und zwar einerseits 
das unmittelbare Opfer der Krise durch den Arbeitsverlust 
und anderseits durch die Einbuße in sozialpolitischer Hin- 
sieht. In Zeiten des Sinkens der Einnahmen des Staates 
wird der Kampf um die Verteilung der Tragung der 
Lasten immer schärfer und für die wirtschaftlich Schwä- 
cheren immer schwieriger. In einer Zeit, in der Hundert- 
tausende von Arbeitslosen hungernd vor den Toren der 
Fabriken und Werkstätten stehen, ist es unmöglich, sozial- 
politische Erfolge zu erringen. Sie können sagen: „Was 
interessieren uns diese Dinge, die vor allem nur für die- 
jenigen gelten, die im Produktionsprozeß stehen?" Dazu 
ist aber zu sagen, daß wir als Opfer des Krieges nicht los- 
gelöst sind von den Vorgängen in der Welt und in der 
Öffentlichkeit. Diese Feststellungen, die ich da kurz ge- 
macht habe, gelten auch für die Opfer des Krieges. Wir 
haben daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen und den 
Kamvf danach zu führen. 
Seit Ende 1929 ist auf dem Gebiete der sozialpoli- 
tischen Fürsorge sür die Kriegsopfer ein völliger Still- 
' stand eingetreten. Alle Anträge, die feit dieser Zeit im
	        
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