Volltext: Nr. 7 1928 (Nr. 7 1928)

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Nachrichte» 
Nr. 7 
mal eine wirkliche Reform durchzuführen. Es kann aber 
auch der notwendige Mehraufwand verringert werden, 
wenn das Spruchverfahren gerecht eingerichtet und »er- 
einfacht wird. 
Die Beseitigung von Härten und Unzulänglichkeiten 
bedarf keiner weiteren Begründung. Jeder, der das Ge- 
fetz kennt und insbesondere Einblick in die Praxis hat, 
weiß, daß wir diese Forderungen schon seit Bestand des 
Gesetzes erheben. Die von uns zur Aenderung beantragten 
Bestimmungen hatten bei ihrer Schaffung keine Anologie, 
sie waren mehr ein Versuch. Sie haben sich nicht bewährt 
und bringen das Gegenteil dessen, was mit ihnen ange- 
strebt werden sollte. 
Wir verweisen auf den einstimmigen Beschluß der konsti- 
tuierenden Nationalversammlung bei der Schaffung des 
Grundgesetzes (156 der Beilagen, 25. April 1919), wel¬ 
cher lautete: „Nach spätestens einem Jahre vom Tage des 
Inkrafttretens des Gesetzes wird eine Revision des Ge- 
setzes, insbesondere der Renten- und anderen Zuwen¬ 
dungssätze vorgenommen. Dabei wird die möglichste 
Uebereinstimmung zugunsten der mit diesem Gesetze zu 
schützenden Personen mit Gesetzen gleichen Inhaltes an- 
zustreben sein, soweit solche Gesetze bis dahin von anderen 
durch den Krieg betroffenen Staaten geschaffen worden 
sind." 
Dieser Beschluß wurde noch niemals so richtig aus? 
geführt, es blieb bis zum Jahre 1924 infolge der Geld- 
entwertungskrifen immer nur bei fallweifen, ungenügen- 
den Erhöhungen der Teuerungszulage, deren letzte dann 
unter dem Einfluß der Sanierungskendenzen durch die 
VIII. Novelle stabilisiert wurde. Die IX. Novelle von 
1927 hat die entwerteten Renten noch lange nicht auf 
den alten Realwert gebracht. Mit Ausnahme der Renten- 
bezüge der Kriegsblinden und Hilflosen ist keine Balori- 
sierung eingetreten. 
So wurde dieser Beschluß hinsichtlich der Geldbezüge 
unzulänglich durchgeführt, hinsichtlich der anderen Bestim- 
mungen jedoch, die sich bewähren sollten, aber eben nicht 
bewährt haben, ist keine Überprüfung erfolgt, viel weni¬ 
ger eine Bedachtnahme auf bessere Bestimmungen des 
Auslandes. Wenn wir nicht fürchten müßten, diele Denk- 
fchrift zu umfangreich zu gestalten, könnten wir sofort 
eine lange Reihe von Beispielen anführen, aus welchen 
hervorgeht, daß einzelne Entschädigungsproblenze in den 
Gesetzen der übrigen Staaten viel besser und vernünftiger 
gelöst erscheinen als in Oesterreich, daß es in keinem Ber- 
sorgungssystem eines Staates so viel Härten und Unge- 
rechtigkeiten gibt als bei uns. Wir verweisen diesbezüg- 
lich auf den gedruckten Bericht über das Kriegsopfer-Ber- 
sorgungswesen in den einzelnen Staaten des Internatio- 
nalen Arbeitsamtes, Abteilung für Kriegsbeschädigten- 
Fragen. (Verlag der „Ciamac". Gens, 1927.) 
Hinsichtlich des Verfahrens ist, wie schon erwähnt, die 
Hauptforderung nach Abschaffung des Berwaltunzs- 
gerichtshofes und seiner Ersetzung durch ein oberstes Ver- 
sorgungsgericht. Dazu ist das Bundesverfassungsgesetz 
vom 18. Juli 1924, B.-G.-Bl. Rr. 257, „über die Zustän¬ 
digkeit des Berwaltungsgerichtshofes zur Überprüfung 
von Entscheidungen der Schiedskommissionen der Invali- 
den-Entfchädigungs-Komission" aufzuheben. 
Wirkliche oder vermeintliche Mängel und Ungerechtig- 
keiten in der Iustizpflege eines Staates schaffen die größte 
Erbitterung. Das hat sich gerade in Oesterreich gezeigt. 
Wie nun erst, wenn diese Mängel so weit gehen, daß das 
Gerichtsverfahren gleich wird dem mittelalterlichen Feme- 
gericht? Das ist tatsächlich bei uns Kriegsopfern der Fall. 
Der Berwaltungsgerichtshof wurde mit der VIII. Novelle 
eingesetzt, um auf Antrag des Ministeriums für soziale 
Verwaltung einzelne Entscheidungen der Schiedskommis- 
sionen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Es wurde 
uns gesagt, das werde nur geschehen, wenn zwei Schieds¬ 
kommissionen in der gleichen Frage sich direkt widerspre¬ 
chen, um eine einheitliche Auslegung einer bestrittenen 
Frage zu erzielen, daß aber keine materiellen Entscheid««- 
gen getroffen werden würden. Die Kriegsopfer waren 
schon damals mißtrauisch und die Praxis hat uns Recht 
gegeben. Der Berwaltungsgerichtshof ist nicht mehr 
Ueberprüfungsinstanz, sondern dritte Entscheidungsin- 
stanz. Er kann nur angerufen werden, wenn das Bundes- 
Ministerium für soziale Verwaltung den Antrag stellt. 
Wenn nur dieses Ueberprüfungsanträge der Organisation, 
beziehungsweise der Rentenwerber zurückweist, dagegen 
die Anträge der Finanzvertretung ohne viel Untersuchung 
und Bedenken weitergibt, wie es tatsächlich der Fall ist, 
so gerät der fundamentale Grundsatz jeder Rechtspflege, 
der zugleich ein Postulat der Demokratie und Verfassung 
ist, daß nämlich jeder Prozeßgegner vor dem Richter die 
gleichen Rechtes haben soll, ins Schwanken. Es ist doch un- 
möglich, daß in einem Rechtsstreit — und nichts anderes 
ist der Anspruch auf Entschädigung wegen verminderter 
Erwerbsfähigkeit oder Verlust des Ernährers infolge 
Kriegsdienstleistung — die dritte Instanz dem einen Pro- 
zeßgegner, noch dazu dem an und für sich stärkeren, un« 
beschränkt offen steht, aber dem anderen, den: schwäche- 
ren, verschlossen ist. Wie kann noch von einem ordentlichen 
Gerichtsverfahren gesprochen werden, wenn der Geklagte 
nicht einmal die Tatsache erfährt, daß er geklagt ist, wenn 
ihm keine Klagefchrift zugestellt wird, er also weder Ein- 
Wendungen machen kann, noch eventuelle Irrtümer rich¬ 
tigstellen und daß in einer nicht öffentlichen Verhandlung 
über die gegen ihn gerichtete Klage entschieden wird, 
ohne daß er darauf irgendwelchen Einfluß nehmen 
könnte? 
In jeder Entscheidung der Schiedskommission kehrt 
stets die Formel wieder, daß dieselbe durch kein Rechts- 
mittel mehr angefochten werden kann. Räch Wochen oder 
Monaten aber kommt dann an den Anspruchswerber die 
Abschrift des Urteils des Berwaltungsgerichtshofes, aus 
der er erfährt, daß sein ganzer Anspruch infolge Auf- 
Hebung der Entscheidung der Schiedskommission wegen 
Rechtswidrigkeit für immer abgewiesen ist. Eine solche 
Art Gerichtsverfahren ist ärger als das unverständlichste 
Urteil eines Schwurgerichtes und tatsächlich herrscht in 
den Reihen der Kriegsopfer eine durch diese Rechtsun- 
sicherheit hervorgerufene Erbitterung. Dazu kommt noch, 
daß der Verwaltungsgerichtshof in feinen Entscheidungen 
Rechtsgrundsätze aufgestellt hat, die die Schiedskommis¬ 
sion vollständig entwerten, z. B. daß dieselbe über das 
ärztliche Gutachten des Sachverständigen unter keinen 
Umständen zugunsten des Anspruchswerbers hinausgehen 
dürfe. Es wird immer verlangt, daß die Schiedskommis- 
sion sich streng an die Rechtsanschauung des Verwaltungs- 
gerichtshofes Hält, sobald diese für die Kriegsopfer un- 
günstig ist. 
Es muß deshalb die Abschaffung des Verwaltungs- 
gerichtshofes begehrt werden. An feine Stelle soll ein 
oberstes Schiedsgericht treten nach dem Muster des reichs- 
deutschen Versorgungsgerichtes, in dem, so wie bei der 
Schiedskommission, ein ordentlicher Richter den Vorsitz 
führt, dem vier Beisitzer zur Seite stehen. Bei der Aus- 
wähl der Beisitzer muß dann den organisierten Kriegs- 
invaliden und Hinterbliebenen ein Mitbestimmungsrecht 
eingeräumt werden, indem einer odör zwei Beisitzer aus 
ihren Reihen berufen werden. 
Dieses Obergericht ist auch in der Sozialversicherung 
eingeführt. Warum sollen die Kriegsopfer im Spruchvec- 
fahren rechtlich schlechter gestellt sein als die Sozialrent- 
ner? 
Einige der aufgestellten Forderungen sind spezielle 
Wünsche der Kriegsblinden. Der gefertigte Zentralver- 
band betrachtet es als Ehrenpflicht, diese Forderungen zu 
den seinen zu machen, da ja auch die übrigen Hilflosen an
	        
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