Volltext: Nr. 3 1926 (Nr. 3 1926)

Nr. 3 
Nachrichte» 
Seite 3 
mit welchem Ernst die Vertrauensmänner der Kriegs- 
opfer Oesterreichs das Problem der Kriegsopferfürsorge 
behandeln. Mögen unsere Gegner, die der Auffassung 
sind, daß die Kriegsopferfrage eine Sache der privaten 
Wohltätigkeit sei, noch so gegen uns zu Felde ziehen und 
uns als einseitig eingestellt verleumden, wir werden fort 
und fort unsere Pflicht im Dienste der Kriegsopfer- 
bewegung erfüllen und durch Aufklärung den Gedanken 
der Organisation vertiefen. Gerade die Art und Weife, 
mit der wir bekämpft werden, bestätigt, daß wir den 
richtigen Weg eingeschlagen haben und wir versichern, 
daß uns die Tagung in Klagenfurt ein neuer Ansporn 
war für unser Wirken und das; wir nicht erlahmen wer¬ 
den im Kampfe um die Rechte der Kriegsopfer. Alle 
unsere Vertrauensmänner und Mitglieder rufeil wir bei 
dieser Gelegenheit auf, ihre ganze Kraft in den Dienst 
der Sache zu stellen und dafür zu wirken, daß alle die- 
jenigen, die bis heute von unserer Organisation noch 
nicht erfaßt wurden, unseren Reihen zugeführt werden. 
Unsere Organisation, die geboren wurde in einer Zeit 
des Kampfes und des Dranges um neue Staats- und 
Wirtschaftsformen und die schon manchen Sturm erlebte, 
sie wird auch dann noch am Platze sein, wenn alle Schmu- 
rotzer des Gedankens der Organisation hinweggefegt sein 
werden. 
Der Reichsbund und die 8. Novelle. 
In unserer Dezembernummer des vorigen Jahres be- 
richteten wir unter dem Titel „Ah, da schau Herl" über 
eine Versammlung des „Reichsbundes" in Leonfelden, in 
welcher der höchste Funktionär, Herr Schürrer (er mißt 
1 Meter 85 Zentimeter), den liaben Muatterln mitteilte, 
daß der Reichsbund daran denkt, eine 9. Novelle zu ver- 
langen. 
Dies zu einer Zeit, als unser Zentralverband bereits 
von Genf mit Erfolg zurückkehrte. 
Die Reichsbündler wandten sich mit der Bitte, eben- 
falls Forderungen stellen zu dürfen, an den Bundes¬ 
kanzler, verabsäumten selbstverständlich nicht, den Jen- 
tralverband als jüdisch und international zu bezeichnen. 
Wir glaubten, daß die Antwort günstig ausgefallen 
sei, da der Reichsbund daran „denkt", eine 9. Novelle zu 
fordern. Sie denken noch immer daran und werden aus 
dem Denken nie herauskommen, vorausgesetzt, daß sie 
überhaupt eine Denkfähigkeit besitzen. 
Daß sie nicht daran denken, den Kriegsopfern zu 
helfen, weil es den Vaterln und Muatterln so schlecht 
geht, sondern daß-sie der Regierung Handlangerdienste 
leistet, um die „Fürsorge" auf die Oeffentlichkeit abzu- 
wälzen, geben sie in ihrem eigenen Organe zu. 
Davon, daß die Organisation des Herrn Drexel der 
Regierung die Augen nicht auskratzen wird, waren alle 
vollkommen überzeugt. 
Daß sie aber einen direkten Verrat an den Invaliden 
begeht, haben wir dem Drexel-Verbändchen doch nicht zu- 
gemutet. 
Die Muatterln und Vaterln von Leonfelden werden 
Aeuglein machen, wenn sie sehen, wie ihnen durch das 
„Denken" geholfen werden soll. 
Das Organ des Regierungsknechtes schreibt unter 
anderem Schmonzes: 
„Wir stehen auf dem Standpunkte (haben also doch 
auch einen Standpunkt. Die Redaktion.), daß wir bereits 
reichlich an das Ausland verschuldet sind und auch eine 
eventuelle Erhöhung des Nvrmalbud- 
gets den Kriegsopfern bei weitem keine gerechte 
Entschädigung ihrer Kriegsleiden bringen könnte. 
Die Kriegsopfer bekämen dann mehr Rente, ihre 
Lebenshaltung wäre aber um ein V i e l f a ch e s davon 
verteuert. Nach unserem Geschmack ist so eine 
Invalidenhilfe nicht. 
Eine entsprechende Erhöhung der Renten aber würde 
ein um vieles bedeutendere Erhöhung der allge- 
meinen Lebenshaltung nach sich ziehen. 
Denn wir wissen bereits sehr gut, daß die zumeist 
jüdischen Kaufleute diese Gelegenheit sofort zu einer b e- 
et&s<ffai. 
Die Familie Härtung war nicht mit irdischen Gütern 
gesegnet. Kümmerlich, bescheiden, doch glücklich, lebte sie 
beisammen. Die Bezüge eines einfachen Fabrikbeamten 
waren klein, so daß sich die Familie eben „nach der Decke 
strecken" mußte. Die Frau war eifrig bemüht, das Heim 
so wohnlich als möglich zu gestalten, die Kinder, fünf an 
der Zahl, waren sauber und rein. 
Jahrelangem Sparen war es geglückt, die Wohnung 
neu zu möblieren und nett einzurichten. 
Glücklich und zufrieden lebte die Familie, fein Streit, 
kein Zwist störte das Beisammensein. 
Da kam der große Krieg und rief auch diesen Fami- 
lienvater mit tausenden anderen zu den Waffen, um das 
Vaterland zu verteidigen gegen fremde Machtgelüste. 
Tapfer hielt sich die Frau als der Abschied kam. 
Keine Träne netzte ihr Gesicht, wußte sie doch, daß im 
Herzen ihres Mannes ein furchtbarer Kampf tobte 
zwischen der Liebe zu seiner Familie und der ihm be- 
fohlenen Pflicht. Sie wollte ihm den Abschied nicht noch 
schwerer machen. 
Die Kinder heulten und wollten ihren Vater nicht 
fort lassen, die Mutter besänftigte sie und sagte ihnen: 
„Der Vater kommt bald wieder!" 
Nächte hindurch weinte sie allein, sie konnte die 
furchtbare Möglichkeit, daß ihr Mann auf dem Schlacht¬ 
felde bleibt, nicht fassen. 
Ihr oblag die Sorge um ihre Kinder, die noch nicht 
alle im schulpflichtigen Alter standen. 
Die gewährte Unterstützung reichte nicht hin, um die 
täglichen Bedürfnisse zu decken. 
Sie setzte sich an die Nähmaschine und arbeitete Tag 
und Nacht. Doch alle Arbeit half nichts, die Lebens- 
führung wurde immer schwieriger, die Frau hungerte 
mit den Kindern. 
Mit Sehnsucht erwartete die Frau den Postboten, der 
ihr fleißig Nachrichten von ihrem Manne brachte. Hun- 
derte Briefe, aus denen die Sorge um die Familie sprach. 
Plötzlich blieben die Nachrichten aus, die an ihn 
adressierten Briefe kamen zurück mit dem Vermerk: Ver- 
mißtl 
Wer beschreibt die Qual der Frau, die ungeteilt den 
Schmerz um ihren Mann und die Sorgen um ihre 
Kinder tragen mußte? 
Monate vergingen. 
Endlich kam Nachricht: Das Regiment betrauert den 
Verlust des Helden Härtung, welcher durch einen Kopf- 
schuß den Tod fürs Vaterland fand. 
Trübe Tage und Wochen, voll des Elends, folgten. 
Das Rädchen der Maschine surrte und wurde nur 
ab und zu unterbrochen durch ein herzzerreißendes 
Schluchzen der Näherin. 
Die Kinder, welche noch immer sauber gekleidet 
wären, wurden mit der Mutter hohlwangig und kränk- 
ltch. Die Lebensmittel fehlten.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.