Full text: Nr. 3 1924 (Nr. 3 1924)

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Nachrichten 
ordnung zu stellen — eine Deputation zum Landeshaupt- 
mann entsandte. Die Abordnung verweilte bereits eine 
geraume Zeit im Bureau des Herrn Landeshauptmannes 
und brachte die Wünsche nach ehester Erledigung der 
VIII. Novelle zum I.-E.-G. und verschiedene andere Be- 
schwerden vor, als der Landesverband von der Demon¬ 
stration Kenntnis erhielt. Kamerad Weidinger begab sich 
sofort dorthin und nahm Gelegenheit, den Äerrn Landes- 
Hauptmann zu ersuchen, er möge seinen Einfluß bei der 
Bundesregierung geltend machen, damit die Lage der 
Kriegsopfer etwas gemildert werde. Der Äerr Landes- 
Hauptmann versprach, daß er sich noch am gleichen Tage 
mit der Bundesregierung ins Einvernehmen setzen und 
die Wünsche der Kriegsopfer vertreten werde. Er gab 
der Ansicht Ausdruck, daß solche Auszüge, wie der heutige, 
unterbleiben sollen, da ja auch eine ohne Aussehen her- 
vorrufende Vorsprache das Gleiche erreichen werde. Die 
Abordnung machte aufmerksam, daß alle Vorsprachen, 
die bis heute immer in aller Ruhe gemacht wurden, 
keinerlei Erfolg zeitigten. Es sei somit verständlich, daß 
die Erregung unter den Kriegsopfern immer größer werde 
und es aller Anstrengung bedürfe, um die Leute vor 
Verzweiflungstaten abzuhalten, weil allenthalben die 
Meinung Platz gegriffen habe, daß nichts mehr zu ver- 
lieren sei, als das nackte Leben. 
Die Abordnung begab sich sodann zu den hinter 
dem Landhaus versammelten Invaliden und Witwen, die 
von der im Landhaus aufgestellten Gendarmerie dorthin 
abgedrängt wurden, und teilte Kamerad Weidinger das 
Ergebnis der Unterredung mit dem Äerrn Landeshaupt- 
mann mit. Er forderte die Anwesenden auf, sich ruhig 
nach 5,ause zu begeben und sich für den Kampf, der in 
der allernächsten Zeit geführt werden muß, bereit zu 
halten. In aller Rühe verließen alle den Platz vor dem 
Landhaus und die spontan einsetzende Demonstration 
hatte ihr Ende gefunden. 
Wir nehmen an, daß es nun doch wirklich ernst 
wird und die Kriegsopfer nicht mehr länger auf die Er- 
ledigung ihrer Wünsche warten müssen. Im gegenteiligen 
Falle könnten wir tatsächlich keine Verantwortung für 
die kommenden Dinge tragen. Es ist soweit, daß alles 
Zureden nichts mehr nützen würde und wir selbst auf dem 
Standpunkte stehen, uns nicht mehr länger als die Büttel 
der Regierung herzugeben. 
Ems Kundgebung der KriegsinonZiden. 
Dreihundert Kriegsbeschädigte dringen inS Par¬ 
lament eis; und besetzen die Säulenhalle. 
In den Vormittagsstunden des 23. Jänner drangen 
an 300 Invalide, die in den verschiedenen Siechenhäusern 
untergebracht sind, auf Grund einer vorher ausgegebenen 
geheimen Parole in das Parlament ein und besetzten, 
ehe sie daran gehindert werden konnten, die Säulenhalle. 
Der Grund hiefür war, daß den Invaliden infolge 
der Bestimmung des § 28 des I.-E.-G. nicht mehr wie 
bisher das Krankengeld durch die Invalidenämter bezahlt 
wird, sondern daß die Krankenkassen angewiesen werden, 
die Krankengelder an die Kriegsinyaliden flüssig zu machen. 
Die Krankenkassen erklären sich nun außerstande, die Kran- 
kengelderauszahlung und die Spitalkosten zu übernehmen 
und verweisen daraus, daß es sich um Rechte der Inva¬ 
liden handle, deren Erfüllung dem Staate zukomme. 
Dieser Konflikt zwischen Staat und Krankenkassen brachte 
die Invaliden in eine schwierige Sitnation, da sie seit 
Wochen vergebens auf ihr Krankengeld warteten. 
Die Invaliden waren aufs äußerste erbittert und 
wollten den Äerrn Minister selbst sprechen. Die Wiener 
Polizei hatte keine Kenntnis von dem Vorhaben, sie war 
im Gegenteil der Meinung, daß die Invaliden das Jnva- 
lidenamt besetzen wollen und verstärkte dort das Wache- 
aufgebot. Die Organe des Nauses hatten ebenfalls keine 
Kenntnis und sahen sich plötzlich um halb 10 Ahr einer 
mehrhundertköpsigen Menschenmenge gegenüber, die äußerst 
erregt den Eintritt verlangte. 
Der Demonstrationszug erregte begreifliches Ans- 
sehen, waren doch die meisten der Teilnehmer Schwerin- 
valide, die sich mühsam auf ihren Krücken fortschleppten. 
Gelähmte, die von ihren Kameraden getragen werden 
mußten, Nervenleidende, denen die Füße bei jedem Schritt 
den Dienst versagten. Die schwersten Invaliden wurden 
dann in der Säulenhalle aus die schwarzledernen Ruhe- 
bänke gebettet, die andern bildeten Gruppen und wollten 
so die kommenden Ereignisse abwarten. Die allgemeine 
Parole lautet: „Wir bleiben hier, bis de? §28 aufge¬ 
hoben ist und wenn es 8 Tage dauert. Sollte die Po- 
lizei Gewalt anwenden, werden wir der Gewalt Gewalt 
entgegenzusetzen wissen!" 
Eine viergliedrige Deputation wurde gewählt, welche 
verhandeln sollte. Es wurde beschlössen, nur dann das 
Äaus zu verlassen, wenn die Unterredungen mit dem 
Minister für soziale Verwaltung von Erfolg begleitet 
seien. Der unternommene Schritt sei ein Schritt der 
Verzweiflung. Wochenlang liegen die Männer im Spital, 
bekommen kein Taggeld, die Familien müssen hungern 
und darben, da mit einem Schlags jede Auszahlung des 
Krankengeldes eingestellt Würde, die Krankenkasse die Aus- 
zahlung verweigert. Wie brutal der Leiter des sozialen 
Ministeriums vorgeht, zeigt eine Verfügung, nach welcher 
die Beamten der Invalidenämter zur Ersatzleistung heran- 
gezogen werden, wenn sie nach dem 1. Jänner 1924 noch 
Zahlungen auf Krankengeld leisten. 
Nach einer kurzen Besprechung entwickelt sich in 
der Säulenhalle ein sonderbares Bild. Die Invaliden 
formierten sich in Reihen, jeder Schwerinvalide gestützt 
auf zwei leichtere Invaliden, und treten unter Führung 
ihrer Sprecher den Marsch zu den Ministerzimmern an. 
Zwei Kranke müssen getragen werden. 
Nachdem dann eine weitere Deputation gewählt und 
Äerr Schmitz aus dem Klublokal geholt wurde, brachten 
die Kriegsopfer ihre Wünsche vor. Der Abgeordnete 
Sever führte die Deputation. 
Minister Schmitz verwies darauf, das ein Gesetz- 
beschluß vorliegt, den er selbstverständlich nicht ohne wei- 
teres ändern könne. Eine Reform müßte wieder auf ge¬ 
setzlichem Wege erfolgen und der Nationalrat Gelegen- 
heit erhalten, neue Beschlüsse zu fassen, diese den Wün¬ 
schen der Invaliden entsprechen. Dieser Vorschlag wurde 
von allen Mitgliedern der Abordnung rundweg abgelehnt, 
indem sie erklärten, sie könnten nicht zurücktreten, ehe sie 
nicht eine bindende Zusicherung über die Außerkraftsetzung 
des § 28 des I.-E.-G. erhalten hätten. Minister Schmitz 
erklärte sich dann bereit, gelegentlich der ohnehin in Vorbe- 
reitung befindlichen Aenderung des Jnvaliden-Entschädi- 
gungs-Gesetzes die Wünsche der Kriegsbeschädigten zu be- 
rücksichtigen, jedoch werde mindestens ein Monat ver- 
gehen, bis eine Auswirkung der neuen Bestiinmnngen 
möglich sein dürfte. Auch auf diesen Vorschlag ging die 
Deputation nicht ein, weil er eine Anerkennuug des jetzigen
	        
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