Volltext: Nr. 3 1923 (Nr. 3 1923)

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Nachrichten 
Nr. 3 
eine Unzahl von Kindern den Vater im Krieg verloren haben; 
wieviele Kinder ihren Vater überhaupt nicht kennen lernten, da, 
während die Mutler in Not und Elend, unter Kummer und 
Sorgen dieses Kind gebar, der Vater draußen im Kriege 
schmachtete oder bereits dem Wüten der Kriegsfurie zum Opfer 
gefallen war. Denken wir daran, wie so manche Mutter, die 
ihr Liebstes uuter Entbehrungen großgezogen hatte, heute der 
bittersten Not und dem Hunger preisgegeben ist, deswegen, 
weil ihr Kind ein Opfer des Krieges wurde und den „Helden- 
tob" erleiden mußte. Jenes Kind, das der Mutter in ihren 
alten Tagen Stütze war oder werden sollte. Wieviele Tränen 
sind geflossen und wieviele tausend Augen sind fast erblindet 
unter diesen niederdrückenden Ereignissen, die die rüstigsten 
Eltern grau werden ließen und sie um Jahre früher dem 
Grabe näher brachten. 
Wir haben ja im Laufe der Jahre, seit dem Kriegs- 
ende, vieles, vieles vergessen. Aber wir sollen uns hin und 
wieder dieser Ungeheuerlichkeiten erinnern, um in nnserrn Kampfe 
gegen den Krieg nicht nachzulassen, den kriegsgegnerischen Geist 
in uns zu stärken, um der hehren Idee des Weltfriedens zum 
Siege zu verhelfen. 
Wenn wir, Kameraden und Kameradinnen, uns immer 
vor Augen halten die furchtbaren Erlebnisse uud Eindrücke 
des Menschenmordens und all des Grauenhaften, das wir ge- 
zwnngen erleben mußten, dann kann in unserem Gehirn kein 
anderer Gedanke Raum fassen, in unserem Innern kein anderes 
Gefühl walten, als „Nie wieder Krieg!" 
Wir richten bei diesem Anlasse auch eine ernste Mahnung 
an unsere Kriegerwitwen, die ihren Gatten, das Haupt der 
Familie diesem grausamen Ringen zum Opfer bringen mußten. 
Vergeht nicht, ihr Witwen, was dieser unselige Krieg euch für 
ein namenloses Elend gebracht hat, daß ihr heute noch darben 
müßt und man Euer bereits vergessen hat. Noch eines, Kriegers- 
Witwen, soll Euch besonders am Herzen liegen, einzutreten für 
den Gedanken des Weltfriedens, nämlich das Bewußtsein, daß 
es nicht ausgeschlossen wäre, daß auch Eure Kinder dem 
gleichen, fürchterlichen uud grauenhaften Schicksal verfallen 
könnten, wie Eure Männer und Väter diesem Moloch Krieg 
zum Opfer gefallen sind. 
Kameraden und Kameradinnen! Die alten Mächte der 
Vergangenheit haben, um ihre Macht aufrecht erhalten zu 
können, einem wahnsinnigen Militarismus die größte Förderung 
angedeihen lassen. Sie haben, um die Begeisterung bei den 
Erwachsenen zu erhalten und sie bei der heranwachsenden 
Jugend zu wecken, zu gewissen Zeiten Feste gefeiert. Diese 
Feste sollten Erinnerungen sein, an ruhmreiche Gefechte und 
Schlachten vergangener Kriege. Durch die Veranstaltung von 
solchen den Krieg verherrlichenden Festen hat man es tatsächlich 
erreicht, daß der militäristische Geist, der Geist des Krieges, 
immer mehr Eingang finden konnte in die breiten Massen 
des Volkes. 
Wir wollen auch auf ähnliche Art und Weise auf die 
Massen einwirken, aber nicht um den militaristischen Geist zu 
züchten, sondern um in den Gehirnen und Herzen der Menschen 
den Haß gegen den Militarismus und den Krieg zu entfachen. 
Wir wollen am Jahrestag des größten Verbrechens, das jemals 
an der Menschheit verübt wurde, einen Schrei der Empörung 
in die Oeffentlichkeit hinausstoßen und sie auf unsere Lage und 
unsere Ziele aufmerksam machen. Wir wollen die Oeffentlichkeit 
gewinnnen für den Gedanken: „Krieg dem Kriege!" 
Plätte der Legierung. „Oesterreich ist saniert" liest 
man in allen möglichen regierungsfreundlichen Zeitungen und 
verlangt von nus, daß wir uns darüber freuen. Zu eben der-- 
selben Zeit erfahren wir, natürlich ganz unter der Hand, daß 
das Ministerium für soziale Verwaltung mit einem Entwurf 
der 8. Novelle des Juvalidenentschädignngsgesetzes bereits 
fertig ist, über den aber mit der Organisation noch nicht vtr- 
handelt werden darf. In diesem Entwurf soll auch die zwangs- 
weise Abfertigung der Rentner bis zu 56% vorgesehen sein 
und noch so manches andere zum Schaden der Kriegsopfer, 
z. B. die Einstellung des Krankengeldes für Krankenversicherte, 
die „Vereinfachung" der Jnvalidenfürsorge überhaupt, die Zu- 
sammenziehung der Entschädigungskommissionen usw. 
Also, liebe Kriegopfer, freut Euch ob der Sanierung 
Oesterreichs, freut Euch über die Millionen, die uns Herr 
Seipel erbettelt hat, freut Euch, daß das ausländische Kapital 
mit Oesterreich Bombengeschäfte macht und die Zinsen für die 
Kredite an Euch erspart werden! Freu: Euch aber auch, weil 
Herr Seipel Euch verspricht, bestens für Euch zu sorgen, wenn 
Oesterreich saniert sein wird! Ahnt Ihr, wie seine Fürsorge 
aussehen wird? Abbau, Abbau! Mau hat es ja so leicht weil 
der Herr Generalkommissär Dr. Zimmermann seinen Name» 
hergibt dazu! 
Die 8. Novelle, die so fürsorglich ausgearbeitet im 
Schöße des Herrn Schmitz schlummert, soll allerdings uoch 
nicht herauskommen, man muß doch zuvor die Nationalrats- 
Wahlen vorübergehen lassen, weil sonst die Kriegsopfer sich 
schließlich rächen könnten! Erst nach den Wahlen, wenn die 
Herren Nationalräte sicher sitzen, wenn man auf Jahre hinaus 
keine Angst zu haben braucht, wird an die Novelliere,g ge¬ 
schritten, denn die Menschen vergessen ja so schnell. 
Aber gemach, Ihr Herren, wir Kriegsopfer verstehen 
auch die Lage auszunützen. Ueber Beschluß des Reichsdelegierten- 
tages werden wir noch vor den Wahlen unsere Forderungen 
überreichen, damit Gelegenheit da ist, die Jnvalidensreundlich- 
keit, von der ja in in den Wählerversammlungen sicherlich 
gesprochen werden wird, zu beweisen. 
„Heraus mit der 8. Novelle!" muß unser Kampfruf in 
den nächsten Wahlen sein, heraus mit ihr, bevor der Nationalrat 
sich auflöst. Es wird einen schweren Kampf geben für uns. 
denn die Verrätergruppe „Gallos" fördert im Stillen die 
Pläne der Regierung! Aber wir wollen fest zusammenhalten, 
energisch wollen wir für unser Recht eintreten, rücksichtslos 
unseren Kampf führen! Jedes einzelne unserer Mitglieder 
rufen wir auf, für die eigene Sache einzutreten und wachsam 
hinter den freigewühlten Führern zu stehen. An anderer Stelle 
dieses Blattes bringen wir unsere Forderungen für bte 8. Novelle, 
die natürlich wesentlich anders sind, als die Pläne der Regierung. 
Wir rufen Euch aber auch auf, Kameraden und Kamerad- 
innen, dafür zu sorgen, daß der Verband die Mittel für den 
Kampf erhält. Die Beiträge für den Kampffonds fließen nur 
spärlich ein und unsere Kassen sind leer! Zum Kriegsühren 
gehört Geld, Geld uud wieder Geld. Auch unser Kamf gegen 
die Regierungsmänner erfordert Geldmittel! Laßt Eure Ver- 
treter nicht im Stich, damit sie für Euch streiten können! 
Zeichnet den Kampffonds! 
«enerainovelllesung 
des ZnvaliSen-entlcftzittgungs öeletzeK. 
(1. Fortsetzung.) 
Die österreichischen Invaliden werden nach ihrer „Er- 
werbsnnfähigkeit" bemessen und zwar wird unter Erwerbs- 
fähigkeit die persönliche Eignung zu seinem früheren Berufe, 
oder einem Berufe der ihm billigerweise zugemutet werden 
kann, verstanden. Dadurch kann es vorkommen, daß ein Hilf- 
loser mit Amputation beider Beine mit nur 35—45°/0 begut¬ 
achtet wird, da er, wenn er an seinen Schreibtisch getragen 
wird, genau so arbeitet, wie vor seiner Schädigung. In 
Oberösterreich wird dieser Vorgang noch nicht gepflogen,
	        
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