Volltext: Die gelbe Maske [310/311]

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Der Haushofmeister kannte seinen Herrn nur allzu gut 
und widersprach nicht mehr. Er nahm Hut und Stock und ging 
hinaus. Es war zwecklos, noch einmal die Siste derjenigen 
durchzugehen, die sich gemeldet hatten und nicht angenommen 
vorden waren. Die einzige Hoffnung, die ihm blieb, war, an alle 
seine Freunde, die Töchter hatten, zu appellieren und zu ver⸗ 
suchen, was er auf diese Weise durch Ueberredung und Be⸗ 
stechung erreichen könnte. 
Nachdein er einen ganzen Tag mit Bitten, Versprechungen 
und Hinwegräumungen Zahlloser Schwierigkeiten verbracht 
hatte, war das Ergebnis seiner Bemühungen die Erwerbung 
von sechs weiteren Schäferinnen. Das brachte ihn ein gutes 
Stück vorwärts, von dreiundzwanzig auf neunundzwanzig, und 
ließ ihm schließlich nur mehr die eine Sorge übrig — wo sollte 
er die Schäferin Nr. 30 finden? 
Er erwog in seinem Geiste eben diese wichtige Frage, als 
er in ein enges NRebengäßchen einbog, nahe dem Campo 
Santo, auf seinem Heimweg nach dem Palaste Melani. Lang⸗ 
sam schlenderte er in der Mitte der Straße hin, fächelte sich 
nach den Anstrengungen des Tages mit dem Taschentuch 
Kühlung zu, als er an einem jungen Mädchen vorbeikam, das 
in der Türöffnung eines Hauses stand und anscheinend auf 
jemand wartete, ehe sie das Gebäude betrat. 
„Heiliger Bacchus!“ rief der Haushöfmeister aus, „da steht 
das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen habe. Wenn die nur 
Schäferin Numero dreißig werden Wwollte, könnte ich ruhig 
nach Hause gehen, mein Abendbrot essen. Ich will sie auf jeden 
Fall fragen. Ich kann durch eine Frage nichts verlieren und 
könnte alles gewinnen.“ 
Wart einen Augenblich, meine Liebe,“ rief er, als er 
merkte, daß das Mädchen bei seinem Herankommen ins Haus 
gehen wollte. „Fürchte dich nicht vor mir. Ich bin des Marquis 
Melani Haushofmeister und in ganz Pisa als ehrenhafter 
Mann bekannt. Ich will dir etwas sagen, was, dir vielleicht 
sehr nützlich sein kann. Sieh mich nicht so erstaunt an; ich will 
nicht erft lang herumreden. Möchtest du ein wenig Geld ver— 
dienen? — auf ehrliche Weise natürlich. Du siehst nicht aus, 
als ob du eben sehr reich wärest ·“·. 
„Ich bin sehr arm und brauche sehr notwendig einen ehr— 
lichen Verdienft,“ antwortete das Mädchen traurig. 
„Dann können wir einander, vorzüglich helfen; ich habe 
eine lustige Arbeit zu vergeben und kann dafür gar gut be— 
zahlen Aer könnteft du mir nicht, ehe wir weiter davon reden, 
einiges über deine Angelegenheiten erzählen — wer du bist 
und so weiter? Wer ich bin, weißt du ja bereits.“ 
Collinz, Die Gelbe Maske.
	        
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