Full text: Die gelbe Maske [310/311]

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Zweites Kapitel 
Das Altelier des Bildhauermeisters Luca Lomi bestand 
eigentlich aus zwei ungleich großen Räumen, die durch eine Holz⸗ 
wand voneinander getrennt und durch einen bogenförmigen 
Ausschnitt in dieser Wand wieder miteinander verbunden waren. 
Waährend die Putzmacherinnen im Hause Grifoni emsig 
damit beschäftigt waren, Kleider und Modelle zu entwerfen, 
waren auch die Bildhauer in Luca Lomis Werkstätte in ihrer 
Art fleißig an der Arbeit, Skizzen zu entwerfen, um Marmor 
und Ton zu formen. In dem kleineren Raum arbeitete der 
junge Edelmann c(hier im Atelier kurz Fabio genannt) an seiner 
Büste, und Nanina saß ihm Modell. Er hatte nicht jenes 
traditionelle italienische Gesicht, das immer voll Schlauheit 
und Mißtrauen finster in die Welt zu sehen scheint. Sein 
Gesichtsausdruck und seine ganze Haltung waren frei und offen. 
Seine strahlenden Augen sahen klug und verständig drein, und 
die leicht geschwungenen Lippen erweckten den angenehmen Ein— 
druck einer stets guten Laune. Im übrigen verriet sein Ge— 
sicht seine Charakterfehler ebenso wie seine Vorzüge; es zeigte 
deutlich, daß es ihm an Ents chlossenheit und Ausdauer fehlte, 
während er gar liebenswürdig und klug zu s ein schien. J 
Am Ende des großen Raumes, nahe der Eingangstür, 
stand Luca Lomi vor seiner lebensgroßen Statue der Minerva; 
von Zeit zu Zeit gab er seinen Leuten, die an der rohen Be— 
arbeitung einer Draperie für eine andere Statue arbeiteten, 
einige Weisungen. An der gegenüberliegenden Seite des 
Raumes, nahe der Scheidewand, war sein Bruder, Vater 
Rocco, damit beschäftigt, von einer Marienstatue einen Abdruck 
zu machen. Maddalena Lomi, die Tochter des Bildhauers, ging 
— da ihre Sitzung für das Antlitz der Minerva beendet war — 
in beiden Zimmern umher und sah sich nach allem möglichen 
um, was darin vorging. IJ I 
Es bestand in gewissem Sinne eine große Familien—⸗ 
ähnlichkeit zwischen Vader, Bruder und Tochter. Alle drei 
waren groß und hübsch, hatten dunkles Haar und dunkle 
Augen, und doch unterscheiden sie sich in dem Ausdruck ihrer 
Gefichler ebensosehr von einander, wie sie sich den Gesichts— 
zügen nach ähnelten. — 
Rocco,“ sagte Luca und betrachtete seine Minervastatue, 
deren Gesicht jeßt fertig war, „dieses Werk wird Sensation 
machen!“ ——— I 
„Das soll mich freuen,“ antwortete der Priester trocken. 
Es ist etwas Neues auf dem Gebiete der Kunst,“ fuhr 
Luca begeiftert fort. „Die anderen Bildhauer beschränken sich, 
wenn sie ein klassisches Sujet gewählt haben, auf das ideale
	        
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