Full text: Polizei-Humoresken [35/36]

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gehende Leiche schon einige Wochen im Wasser gelegen hatte. 
Spuren einer äußerlichen Verletzung, einer Gewaltanwendung, 
welche die Vermutung zugelassen hätte, daß fremdes Ver— 
schulden an dem Tode des Mannes vorlag, konnten nicht fest⸗ 
gestellt werden, und so erübrigte nur noch, eine Persons⸗ 
heschreibung und eine Beschreibung der Kleider aufzunehmen, 
um festftellen zu können, wer der Tote gewesen ist. Wieder zum 
Kommissariat zurückgekehrt, blätterte der Herr Konzipist alle 
Abgängigkeitsanzeigen und Zirkulartelegramme über Vermißte 
durch, und aus dem beiläufigen Alter, aus der Aehnlichkeit der 
Beschreibung der Kleider sowie aus dem Zeitpunkte des Ver—⸗ 
schwindens und des Ertrinkungstodes des aus dem Donaukanal 
Geborgenen kam der Polizeibeamte dann zu dem Schlusse, daß 
es sich um die Leiche des Gärtnergehilfen Sebastian Mereschofski 
handeln dürfte, der sechs Wochen vorher von seiner Mutter als 
mit Selbstmordabsichten abgängig“ zur Anzeige gebracht worden 
war. Telegraphisch wurde das Kommissariat Margareten er—⸗ 
sucht, die im Kommissariatsbereiche wohnende Mutter des 
Gärinergehilfen unverzüglich zum Kommissariat Stadt zu be⸗ 
scheiden. Eiwa zwei Stunden nachher kam die Frau auch, und da 
der Herr Kommissär eben mit einer sehr wichtigen Angelegenheit 
beschäftigt war — er verzehrte nämlich gerade seinen Jausen— 
kaffee — ließ er der Frau durch den Anmelder sagen, sie solle 
sofort in die Totenkammer der Sanitätsstation nächst der 
Augartenbrücke gehen, um die dort liegende, aus dem Donau—⸗ 
kanal geborgene Leiche zu agnoszieren. Nach einer Viertel— 
stunde bam die Frau zurück mit der Mitteilung, daß sich die 
deiche nicht mehr dort befinde, sondern bereits in die Toten⸗ 
dammer des Krankenhauses überführt worden sei. 
„Da kann man leider nichts machen, liebe, Frau Mere⸗ 
schofsti,“ erklärte der Herr Konzipist, nachdem er das Abend—⸗ 
blatt, das er eben gelesen hatte, zur Seite legte, „da müssen 
Sie schon so gut sein, noch dorthin zu gehen, um die Leiche zu 
agnoszieren, und dann kommen Sie sofort wieder her.“ 
Ohne Widerrede und ohne Murren entsprach die Frau 
diesem Verlangen und machte sich, von einem Polizeiagenten be⸗ 
gleitet, auf den Weg zur Toͤtenkammer des Allgemeinen 
Arankenhauses. Nach einer Stunde erschien sie abermals beim 
Kommissariat Innere Stadt und wurde wieder dem Herrn 
Konzipisten gemeldet. 
„Nun, liebe Frau Mereschofski? Haben Sie die Leiche 
agnosziert 2 . 
Nein, Herr Kommissär! Ich benne den Mann nicht, ich 
habe ihn nie in meinem ganzen Leben gesehen!“ . 
Was? Das ist nicht Ihr vermißter Sohn, den Sie vor 
sechs Wochen als abgängig angezeigt haben ?“
	        
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