Volltext: Das Geheimnis der Lebensfreude [404/406]

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Seelen aufleuchten lassen — deshalb fehlte. ihm die 
quellende Liebe des überströmenden Lebens aus dem 
Überfluß der Seele: seine Liebe war Humanität, Mit- 
leid, Wohlwollen, aber nicht die rückhaltlose Selbst- 
hingabe für die andern, die zu einer unerschöpflichen 
Entfaltung der in uns keimhaft verborgenen Herrlich- 
keit führt. 
Weil sich ihm Gott nicht offenbarte, wie ihn Jesus 
sah, blieben ihm die Worte Jesu ohne Leben. Er er- 
füllte sie mit seinem Leben. Aber das ihnen eigentüm- 
liche Leben blieb ihm fremd. So wurden sie ihm zu 
Geboten nach Art der alttestamentlichen, aber nicht zu 
Wegweisern zu der neuen Art Leben, die aus der 
schöpferischen Entfaltung des unsichtbaren Wesens in 
uns entspringt. 
* x * 
Immer wieder konnte man in. den Nachrufen, mit 
denen der durch. die Pforte. des Todes geschrittene 
Tolstoi von den gebildeten Europäern begraben wurde, 
lesen, „sein sittliches Streben bezeichne, alles in allem 
genommen, den Versuch, ob ein einzelner Mensch inner- 
halb der Verhältnisse des modernen Zusammenlebens 
und -wirkens restlos Christis sittlichem Gebot zu folgen 
vermöge‘“, und daß dieser Versuch trotz aller groß- 
artigen Opfer und Leistungen mißlungen sei. ‚Das ist 
zweifellos richtig, aber aus anderen Gründen, als die 
öffentliche Meinung dafür angibt. Nicht, weil Christi 
Ethik, restlos befolgt, zur Selbstvernichtung führt, 
nicht, weil sie Unmenschliches verlangt, sondern weil 
die Worte Jesu überhaupt keine sittlichen Gebote sind, 
weil sie nicht durch Willenstaten, sondern nur durch ein 
neues. Werden erfüllt werden können. Aber das ver- 
steht unsre öffentliche Meinung nicht, weil sie das Reich 
Gottes nicht sieht, von dessen unmittelbaren Lebens- 
äußerungen. Jesu Worte zeugen. So ist allerdings 
durch Tolstoi die „christliche Ethik“ ad absurdum ge- 
führt, aber. nicht Jesus und sein Vorhaben, sondern 
das herrschende Mißverständnis Jesu. 
Aber es'ist nicht zu erwarten, daß den Menschen 
endlich die Augen darüber,aufgehen. Man wird weiter 
Jesus fallen lassen -und an‘ dem Mißverständnis Jesu
	        
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