Volltext: Das Geheimnis der Lebensfreude [404/406]

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ehelichen Lebens, kurz, die ganze verneinende Stellung 
dem Leben gegenüber und das Ziel einer Selbstvernich- 
tung der Menschheit sind Lehren buddhistischer Art. 
Das neue Wesen, das Jesus darstellte und weckte, 
war ihm fremd. Dieses quellende, erfüllende, wieder- 
herstellende, schöpferische Leben aus hintersinnlichen 
Tiefen, die feste und iIreie Überlegenheit über alle 
Dinge auf dem Punkte außerhalb der Welt, der in uns 
liegt, das göttlich große Ja zu allem, was existiert, das 
in allem das zugrunde liegende Gute, die nach Leben 
ringende Wahrheit, die durchschimmernde Herrlichkeit 
sieht und es deshalb für Gott in Anspruch nimmt, die 
Liebe, die überströmendes Leben und Hingabe der Seele 
ohne Wahl und Grenzen, die Ehrfurcht und Güte und 
Kingen nach unmittelbarer Fühlung im Innersten ist, 
kannte er nicht. 
Und er kannte sie nicht, weil ihm die Offenbarung 
Gottes durch Jesus fehlte. Denn das neue Wesen Jesu 
ist tatsächlich nichts anderes, als die Kraft und Fülle 
der Lebensbewegungen Gottes, die aus unsrer: Seele 
quellen. Es wird geboren und entfaltet sich aus der 
unausgesetzten Empfängnis der befruchtenden Lebens- 
anstöße dessen, was überall dahinter webt und in der 
Menschenseele das Organ sucht, um..in endliche Er- 
scheinung zu treten. Auf dieses Geschehen und die 
Neuschöpfung der Menschheit, die es im Gefolge ‘hat, 
ging das Vorhaben Jesu hinaus, und nur dieses wirk- 
liche Geschehen ist. Leben nach der Art Jesu. 
Davon hatte aber Tolstoi gar keine Ahnung. Darum 
mußte er nun unvermeidlich die Worte Jesu mißver- 
stehen und mißbrauchen. Denn er konnte sie nicht als 
Zeichen und Andeutungen eines -‚unerhörten. Wesens 
und einer daraus entspringenden ganz neuen Art Leben 
verstehen; sondern als Gebote für das ‚gewöhnliche 
Wesen, das sie weder versteht noch erfüllen kann. ‚Er 
mußte sie wörtlich nehmen, weil er sie nicht aus der 
dahinter liegenden Lebenstiefe begreifen konnte. Einen 
lebendigen Menschen wird man immer mißverstehen, 
wenn man ihn wörtlich. nimmt. Denn alle Worte sind 
unzulänglich. Wieviel mehr bei Jesus, der etwas ganz
	        
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