der Sront wie in der Seele der Heimat eine nicht wegzustreitende
Rolle gespielt, sogar eine verhältnismäßig größere Rolle als im Frie¬
densleben. Die Religion hat auch wesentlich mitzureden, ja zu ent¬
scheiden, wenn man um Recht und Berechtigung des Krieges überhaupt
und um die sittliche Pflicht zum Frieden diskutiert, vor allem aber,
die Religion hat in dem Seelenleben des durchschnittlichen Front¬
soldaten eine entscheidende Stellung eingenommen und das Kriegs-
erleben des einzelnen grundwesentlich beeinflußt.
Ls gibt ja keinen normalen, seelisch gesunden Menschen, in dessen
Seelenbestande die Religion gar nicht, auch nicht spurenweise oder
verkümmert zu finden wäre, wie die Religionspsychologie zeigt*). Aber
es gibt doch Menschen, in deren Seelenaufbau die Religion faktisch wenig
Gewicht hat. Ls kann die Anlage zur Religion schon von Natur aus
verkümmert sein, so wie beim Menschen auch biologisch, physiologisch,
psychologisch Ausfallserscheinungen jeder Art möglich sind. Warum
sollte es hinsichtlich der religiösen Anlage keine seelischen Krüppel
geben? Die Anlage kann ferner auch erst durch Klchtgebrauch verküm¬
mert sein. Auch solche Art seelischer Hypotrophie ist denkbar und wirk¬
lich. Sie war auch im Kriege und an der Front Wirklichkeit.
Bei solchen Menschen mag es vorgekommen fein, daß sie den -Krieg
rein mechanisch und physisch mitmachten, auch in seinen schlimmsten
Lagen, daß aber eine materialistische oder falsche ideologische Linstellung
selten einen religiösen Gedanken und religiöse Gefühle aufsteigen ließ.
Ganz oberflächliche Menschen, die lustig mit ihrer Seele in den Krieg
hineingaloppierten ohne etwas tiefer zu denken, wie man singend in
der Kriegsbegeisterung 1914 ausrückte, waren im späteren Verlauf des
Krieges, wenigstens an der Front, selten. Dazu brannte ihnen die
persönlich erlebte Kriegsnot doch zu tief ln ihr Leben hinein. Und der
Phrasenrausch bloßen nicht religiös und ethisch fundierten Patriotis¬
mus machte auch rasch einer Ernüchterung Platz. Lhrlicher Patriotis¬
mus verlor bald den Geschmack am tönenden Wort und sing an, sich
in die Stille der Seele zurückzuziehen und dort sich an religiöser und
sittlicher Überzeugung zu kräftigen. Lrnste, geistig in die Höhe stre¬
bende oder die eigene Seele tief aufwühlende Menschen, die ihre Seele
nicht durch die Religion erleuchten oder beleben lassen wollten, sondern
*) vgl. z. B. L. Schlund, Die Stellung der Religion ln der Seele des modernen
Menschen, München i?;o.
8