Volltext: Deutschland in Ketten

tag ein umfassendes Deckungsprogramm vor, das auch die 
Reform der Arbeitslosenversicherung enthält. Finanz 
minister Moldenhauer, bei seiner eigenen Partei in Un 
gnade gefallen, macht dem bisherigen Wirtschaftsminister 
Dietrich Platz. 
Brüning und Dietrich vertreten das neue Programm 
im Reichstag. 
„Alles, was in entscheidenden Augenblicken versäumt 
wurde", sagt Brüning, „muß später mit erheblich größeren 
Lasten nachgeholt werden — das ist das ganze Ergebnis der 
deutschen Finanzpolitik in den letzten Jahren, wir müssen 
brechen mit dem System der Vergangenheit." 
Aber das Parlament will auch jetzt nicht, es mißachtet 
die warnenden Rufe neuer Männer, die eine andere Tonart 
anschlagen. Vielleicht kann auch das Parlament gar nicht 
mehr, es ist längst ohne Rraft und abgewirtschaftet, es 
kann aus seinen Sünden nicht mehr heraus. 
Es wird weiter gefeilscht und gehandelt. Es werden 
weiter Fraktionsbeschlüffe gefaßt. Es geht alles weiter wie 
immer und als ob sich nichts geändert habe. 
„Manchmal scheint es", ruft zornig Finanzminister 
Dietrich, „als ob das deutsche Volk überhaupt nicht mehr 
bestehe, als ob es sich in Gruppen und Grüppchen von 
Interessenten aufgelöst habe, die lediglich auf ihren eigenen 
Vorteil bedacht sind . . ." 
Vom Volk spricht er, das Parlament meint er. Aber 
das Parlament begreift den neuen Ton immer noch nicht. 
Die letzten Appelle sind fruchtlos. 
Abermals erteilt der Reichspräsident dem Reichskanzler 
die Ermächtigung zur Auflösung. Am Tage darauf erläßt 
er, ohne die letzten Abstimmungen des Reichstags abzu 
warten, das von der Regierung ausgearbeitete Reform 
gesetz auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung als 
Notverordnung zur Aufrechterhaltung der Ordnung und 
Sicherheit im Reich. 
Der Reichskanzler erklärt im Reichstag, daß die Re 
gierung auf die Weiterberatung des Gesetzes verzichte. Ein 
Antrag auf Auflösung des Reichstags wird eingebracht und 
abgelehnt. Nein, nach Hause wollen sie nicht, aber der 
Regierung die Mittel zur Rettung des Landes geben wollen 
sie auch nicht.
	        
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