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der Städte, die eine Gefährdung der Belieferung der Fuhrhalter mit
Futtermitteln zu erschwinglichen Preisen befürchteten, Bedenken
gegen voreilige Maßnahmen erhoben. In der Tat bestand die
Futterknappheit weiter; während des Waffenstillstandes war wegen
der Fortdauer der Blockade an eine Einfuhr von Futtermitteln nicht
zu denken, und auch nach Wegfall der Blockade konnte zunächst mit
erheblichen Mengen ausländischer Futtermittel nicht gerechnet werden,
da Kredit und Frachtraum in erster Linie für Lebensmittel aus
genutzt werden mußten. Die Futterbestände der Heeresverwaltung
waren nicht so erheblich, daß nennenswerte Mengen daraus hätten
abgegeben werden können.
Es mußte daher mit Vorsicht an den Abbau herangetreten
werden, obschon der Schleichhandel schon in bedenklicher Weise das
System gelockert hatte. Ein plötzliches Hinaufschnellen der Preise
war zu befürchten, zumal wenn die Freigabe mitten im Wirtschafts
jahre, als die Vorräte zu schwinden begannen, erfolgte. Auch war
eine gewisse Stetigkeit in der Belieferung der Städte und gemein
wirtschaftlich wichtigen Betriebe aufrecht zu erhalten. Die Reichs
futtermittelstelle mußte daher die hierzu erforderlichen Futtermengen
vorläufig noch in der bisherigen Weise erfassen können.
Es bestanden aber keine Bedenken, die Ablieferungspflicht für
einige minderwichtige Futter st offe, die bisher vom
Kriegsausschuß für Ersatzfutter verarbeitet wurden, nämlich Schilf,
Seetang und Seegras, alsbald aufzuheben (Verordnungen vom
4. Februar und vom 25. April 1919, RGBl. S. 147 und 436).
Später folgten die Lupinen, Obst- und Weintrester, Laubheu, Futter
reisig (Verordnungen vom 15. Mai und vom 26. Juni 1919, RGBl.
5. 461 und 611). Eine große Anzahl von Futtermitteln, die für
die allgemeine Versorgung keine Bedeutung mehr hatten und sich
wegen der Schwierigkeit ihrer Erfassung oder Beförderung wenig
für die schlüsselmäßige Verteilung eigneten, wurde durch die Be
kanntmachung des Reichsernährungsministeriums vom 26. Juni 1919
(RGBl. S. 612) von den Bestimmungen der Futtermittelverordnung
ausgenommen. Gleichzeitig wurde der Verkehr mit T o r f st r e u
und Torfmull, sowie mit F u t t e r k a l k und Futter-
würzen freigegeben. Rur der aus Knochen gewonnene Futterkalk
blieb den bisherigen Bestimmungen unterworfen, da die Bewirt
schaftung der Knochen noch aufrechterhalten wurde. Soweit solche
Futtermittel oder Hilfsstoffe aus dem Auslande eingeführt werden
sollten, konnten sie von nun an ebenfalls frei gehandelt werden.
Von größerer Bedeutung als diese Maßnahmen war die am
1. Juli 1919 erfolgte v o l l st ä n d i g e Freigabe des Handels