Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1,1917)

Betrachtungen zur Schlacht an den masurischen Seen 261 
wurde, wies der russische General die Mitte und den rechten Flügel an, die 
Schlacht im Stiche zu lassen. Er bot dem Gegner nicht die Möglichkeit, 
die zur strategischen Flanke gewordene Front an der Deime zu umfassen 
und nach Süden aufzurollen und unternahm auch nicht einen stierköpfigen 
Versuch, bei Gerdauen mit starken Kräften, die er dort rasch hätte ballen 
können, durchzustoßen, sondern beschleunigte seinen Rückzug von der Grund- 
stellung aus unmittelbar nach Nordosten und Osten, ehe die Armee ganz 
eingekreist wurde und das Schicksal der Armee Samsonows erlitt. Rennen- 
kämpf hat also ebenso gehandelt wie Moltke an der Marne, aber keinen 
Kluck besessen, der die Amfassungsarmee zertrümmerte, und in der Front 
von vornherein unglücklich gefochten. Immerhin entzog er ansehnliche 
Kräfte der Vernichtung. 
War also der Operationsplan Lindenburgs auch nicht vollständig ge¬ 
glückt, so hatte er doch alle Elemente zur Überwindung des Gegners auf 
dem Schlachtfeld nutzbar gemacht. 
Generaloberst v. Lindenburg hatte nach der Einkreisungsschlacht von 
Tannenberg gegenüber Rennenkampfs breit aufgestellter Armee zu dem 
einzigen Manöver gegriffen, das einen vollen Erfolg versprach. Statt 
ftontal anzulaufen, staffelte er seine Lauptkräfte rechts und umfaßte mit 
kühner Vorbewegung, die zum Teil mit verwandter Front erfolgte und 
einem vom Njemen und Bobr vorbrechenden Gegner die Flanke bot, den 
verwundbaren Flügel der feindlichen Armee, um ihn zu zermalmen. Die ge¬ 
öffnete Flanke wurde von der Kampfgruppe v.Morgen und v.d. Goltz sicher- 
gestellt, die, ebenfalls mit verwandter Front kämpfend, die Angriffe aus 
Ossowiez und Grodno mit vorgestreckten Spießen auffing und abwies. War 
Generaloberst v. Lindenburg auch nicht zu einem Flankenmarsch vor dem 
Feinde genötigt worden, um dessen linken Flügel mit überlegenen Kräften 
zu umfassen und anzugreifen, wie Friedrich der Große bei Leuthen getan 
hatte, als er auf das dreifach überlegene, zur Schlacht aufmarschierte Leer 
des Lerzogs Karl von Lothringen stieß, so wohnte doch dem Schlachtplan 
des deutschen Feldherrn der große Gedanke von Leuthen inne. Der Plan 
Lindenburgs und Ludendorffs zur Schlacht an den großen masurischen Seen 
hat den Gedanken von Leuthen in freier Erfassung der Lage und in sicherer 
Gestaltung des operativen Verfahrens lebendig werden lassen. 
Dieser friderizianische Gedanke ist freilich weder in der Schlacht bei 
Leuthen noch in der Schlacht an den masurischen Seen zu voller Blüte und 
ganzer Fruchtbildung herangereift, so groß und bedeutsam in beiden 
Fällen der Erfolg gewesen ist. Friedrich der Große hatte durch sein kühnes, 
aus der Perspektive seiner Zeit und der Lineartaktik betrachtet, doppelt 
geniales Manöver den Gegner um seine ganze Schlachtordnung betrogen 
und ihm den linken Flügel eingedrückt, ehe der österreichische Feldherr durch 
Neubildung einer verwandten Front die Überlegenheit wiederherstellen
	        
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