Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1,1917)

England und Deutschland 
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wecken, entstanden daraus keine Gefahren für den europäischen Frieden. 
Das gewaltige Ausbreitungsbedürfnis Deutschlands, dieses modernsten, 
ältere Industriestaaten und ihre Traditionen überholenden, wissenschaftlich 
und technisch am besten vorbereiteten Wirtschaftsvolkes, konnte sich dank 
dieser Entwicklung ausleben. Sein Ehrgeiz wurde in neue, friedliche Bahnen 
gelenkt und die Kulturwelt durch den starken sozialen und ethischen Antrieb 
bereichert, der aus deutschem Grübe!- und Ordnungssinn plötzlich gestaltungs- 
hungrig hervorbrach und einen bewundernswürdigen staatlichen Organismus 
auf dem Gebiete des Verwaltungswesens schuf. Dieser vom kategorischen 
Imperativ der Pflicht beherrschte Staatsbau war allerdings stark vom 
Autoritätsprinzip durchdrungen, das die staatliche Zucht vielfach aus den 
Quellen des in Fleisch und Blut übergegangenen militärischen Gehorsams 
speiste, und ließ die innere poliüsche Entwicklung, die Fortbildung der Ver- 
fassung des Reiches und besonders die des führenden Staates Preußen 
beträchtlich zurücktreten. Das ist bei der Betrachtung der deutschen Welt¬ 
politik und des Verhältnisses Deutschlands zu England von Bedeutung, 
da Deutschlands Imperialismus, sein Streben nach überseeischer Geltung 
weniger vom Volke als von den bevorzugten Kreisen getragen und vom 
Willen einzelner gelenkt erschien. Falsche Vorstellungen von der Macht¬ 
befugnis des Trägers der Kaiserkrone, die besonders in England und Frank¬ 
reich genährt wurden, ließen dies noch schärfer hervortreten. Anter diesem 
Vorurteil hat Deutschlands Weltpolitik gelitten. 
Der Imperialismus Frankreichs und Englands wandte sich nach außen, 
innen war er von der Demokratie getragen; der Deutschlands wirkte innen 
und außen, und zwar nicht nur überseeisch und gegenüber farbigen Völkern, 
wie bei den vorgenannten Staaten, sondern auch im eigenen Lande autoritär. 
Das sind üefgehende Unterschiede, die zu klaffenden Gegensätzen wurden 
und die demokratisch gerichteten Staaten England, Frankreich und Italien, 
ja sogar das in gewissen Schichten liberal empfindende, wenn auch zaristisch 
regierte Rußland von Deutschland trennten. So bildete sich gewissermaßen 
eine auf äußerlichen Merkmalen fußende gemeinsame poliüsche Weltan¬ 
schauung gegen Deutschland und das mit ihm verbundene Österreich, das 
ebenfalls das alte Autoritätsprinzip hochhielt, ohne es genügend mit 
modernen Staatsgedanken zu erfüllen, die sich in diesem von Rassen- und 
völkischen Gegensätzen heimgesuchten Reiche sehr schwer gestalteten. 
Solange das Verhältnis Deutschlands zu England ungestört blieb, 
ließen sich große, aus dem allgemeinen Streben nach Weltgeltung entstehende 
Konflikte bannen. Sobald aber England sich durch den neuen Nebenbuhler 
in seiner Machtfülle, in seiner Seegewalt und Landelsherrschast geschädigt 
fühlte, mußte Deutschlands Weltpolitik zu einer größeren Verwicklung 
führen, als sie jemals auf der alten Landfeste Europa gedroht hat. Dann 
wuchs Englands geschichtlicher Kampf um die Seeherrschaft, die ihm die An-
	        
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