Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1,1917)

228 Der Feldzug in Ostpreußen bis zum 15. September 1914 
der 3. und 5. Kürassiere mit Grenzkosaken belebte die Stille. Der Sommer, 
stiebe der grünen Wälder, der goldenen Getreidefelder und der blanken 
Seen Ostpreußens und des Culmerlandes blieb ungestört. Diese trügerische 
Ruhe währte einige Tage, dann wurde die weitgespannte Grenze von Nord- 
osten, Osten und Südosten von russischen Kavalleriedivisionen überschritten, 
die indes keine weitgreifenden Ritte unternahmen, sondern zunächst nur 
die Grenzländereien durchstreiften. Unterdessen wurde an den Flußschranken 
der Goldap und Angerapp geschanzt und in den Engen der masurischen Seen 
Verhaue angelegt, die Feste Boyen bewaffnet und alles auf den Empfang 
des Feindes vorbereitet. 
Leihe Tage brannten über den Sümpfen, aus denen das Glockenspiel 
der Linken klang, schwüle Nächte senkten sich herab, die innere Provinz, 
die hinter ihrem Wald- und Seengürtel geborgen lag, sah noch keinen Feind. 
Nur an den äußersten Rändern des weitgeschwungenen Grenzlandes prallten 
die Gegner aufeinander, um die Berührung rasch wieder zu lösen. 
Am 2. August trabten russische Reiter über Bialla auf Johannisburg, 
erschienen Patrouillen in Eydtkuhnen und in anderen Grenzorlen, wichen 
aber schon nach einigen Schüssen. Am 4. August ritt deutsche Kavallerie 
in Kibarty, der russischen Grenzstation ösllich von Eydtkuhnen, ein und ver- 
trieb die Wache. Eine russische Kavalleriedivision, die in der Nähe hielt, 
sah tatenlos zu. Bei Soldau kam es am 5. August zu einem Feuerüberfall 
aus eine sorglos vorgehende Kosakenbrigade. Die Reiter setzten eine Schwarm¬ 
attacke auf sichtbar gewordene Infanterie an, gerieten unter die Bleibrause 
der deutschen Maschinengewehre und brachen im Feuer zu Lunderten zu¬ 
sammen, der Rest warf die Gäule herum. 
Am 8. August traf dasselbe Schicksal eine über Bialla vorfühlende 
Kavalleriebrigade, die dabei ihre Geschütze verlor. Soweit die Kosaken ins 
preußische Vorland kamen, also vom Njemen bis Soldau den ganzen Grenz¬ 
streifen entlang, der durch die Orte Schirwindt, Eydtkuhnen, Mierunsken, 
Marggrabowa, Lyck, Bialla, Willenberg, Neidenburg bezeichnet wird, 
herrschten Angst und Grauen, denn der Kosak hielt auf den verbrieften Brauch, 
der ihm unbeschränktes Beuterecht zusprach, und ließ dabei auch seiner wilden 
Natur die Zügel schießen. Während das Land diesseits der Angerapp- und 
Seenlinie noch im tiefsten Frieden lag, schlug in den Grenzdörfern die Lohe 
auf. Die deutsche Staatszucht hatte den in jedem Volke wohnenden natür- 
lichen Instinkt, bei einem Einbruch bewaffneten Widerstand zu leisten, längst 
unterdrückt. In Ostpreußen hat keine Erhebung der Bevölkerung statt- 
geftinden wie in Belgien, wo außer Temperamentsunterschieden eine andere 
Auffassung von den Rechten des Bürgers zur Verteidigung des nationalen 
Bodens wirksam war. Die Vergeltungsmaßregeln, die von den Deutschen 
in Belgien und in stanzösischen Gebieten ergriffen wurden, sind daher 
grundsätzlich anders zu beurteilen als das Vorgehen der Russen, die nicht
	        
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