Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Geschichte der Juden in Brüx. 
Bearbeitet von 
Rabbiner Dr. Michael Halberstam, Brüx. 
In Brüx (c. Most) lebten Juden — wie urkundlich 
nachgewiesen ist1) -— bereits im 14. und 15. Jht. 
Die älteste Nachricht über den Aufenthalt von 
Juden in B. enthält eine aus dem J. 1393 stammende 
Schuldurkunde, die der Herr auf Riesenburg, Borso 
der Jüngere, den Juden Ascher und Isaak in B. 
ausgestellt hatte2). Es ist mit großer Wahrscheinlich¬ 
keit anzunehmen, daß die Juden schon früher in B. 
ansässig waren, etwa seit der Mitte des 14. Jhts., 
nachdem Kaiser Karl IV. im Artikel IX der Goldenen 
Bulle (aus dem J. 1356) bestimmt hatte, daß die Kö¬ 
nige von Böhmen wie andere Fürsten auch Juden 
unter ihrer Botmäßigkeit halten können3). Während 
bisher die Juden nur in der Nähe der kgl. Burgen 
Schutz fanden, wurde jetzt fast jede kgl. Stadt der 
Sitz einer eigenen J. G. So dürfte auch um diese Zeit 
in B. eine kleine jüd. Gemeinde entstanden sein. Im 
J. 1357 gab es jedoch, wie es scheint, noch keine 
geldkräftigen Finanziers unter den hiesigen Juden, 
denn die Brüxer stellen in diesem Jahre den Prager 
Juden einen Schuldbrief auf 75 Schock Prager Gro¬ 
schen aus.3a) 
Sind wir hinsichtlich des terminus a quo nur auf 
Mutmaßungen angewiesen, so können wir den ter¬ 
minus ad quem der ersten jüdischen Ansiedlung in B. 
genauer bestimmen. Im J, 1456 hatten die Juden 
bereits die Stadt verlassen, was daraus hervorgeht, 
daß in diesem Jahre der Judenfriedhof nebst einem 
Hause und einem Weingarten in und bei B. von Her¬ 
zog Friedrich dem Brüxer Hans Wickart für gelei¬ 
stete Dienste geschenkt wurde4). Das kgl. Dekret, 
mit welchem den Juden der Aufenthalt in B. und 
in einem Umkreise von einer Meile verboten wurde, 
stammt freilich erst aus dem J. 1464, doch dürfte 
dieses Dekret lediglich eine Bestätigung der bereits 
im J. 1453 von Herzog Friedrich II. gegen die Juden 
erlassenen Verfügung gewesen sein5). Der erste Auf¬ 
enthalt der Juden in B. dauerte demnach nur etwa 
100 Jahre. 
Die genaue Lage des mittelalterlichen Ghettos 
in B. hat vor einigen Jahren der hiesige Gymnasial¬ 
professor Dr. Alois Ott aus den alten Kaut- und 
Grundbüchern ermittelt6). Das Resultat seiner dies¬ 
bezüglichen Forschungen läßt sich etwa, wie folgt, 
zusammenfassen: Die Juden wohnten während der 
ganzen Dauer ihres ersten Aufenthaltes in B. vor der 
Stadtmauer, die bis nach dem J. 1455 unmittelbar 
hinter dem Minoritenkloster gestanden hatte. Be¬ 
stimmt hatten sie in der heutigen Sterngasse gewohnt, 
die bis ins 18. Jht. hinein als „Judengasse" bezeich¬ 
net wurde. Doch dürfte auch die jetzige „Rosmarin¬ 
gasse" (im 16. und 17. Jht. „Schnippelgatsl", im 18. 
Jht. neben „Schlippergassi" auch „kleine Judengasse66 
genannt) und der zwischen Sterngasse und Rosmarin- 
gasise gelegene Abschnitt der Kasernengasse zur ehe¬ 
maligen Judensiedlung gehört haben, denn letztere 
Gasse erscheint in einigen kaufbücherlichen Eintra¬ 
gungen aus der ersten Hälfte des 18. Jhts. ebenfalls 
unter dem Namen „Judengasse ". Auch die Lage des 
im J. 1456 aufgelassenen Judenfriedhofes kann heute 
mit ziemlicher Sicherheit angegeben werden. Er be¬ 
fand sich auf dem Graben, diente später als Garten, 
der im vorigen Jht. die Kat.-Z. 183 erhalten hatte. 
Dieser Garten wurde in den achtziger Jahren des 
vorigen Jhts. in öffentliches Gut umgewandelt und 
bildet seitdem einen Teil jener Rasenfläche, die sich 
zwischen den unterhalb des Durchhauses und beim 
Gemeindewirtschaftshof über den als Mühlgraben be¬ 
zeichneten Bielaarm führenden Brücken ausdehnt. 
Unter Aufsicht der hiesigen Museumsleitung wurden 
am 27. und 28. November 1928 an zwei Stellen dieses 
Platzes Grabungen vorgenommen, welche im allgemei¬ 
nen die Richtigkeit der auf Grund der kaufbücherli¬ 
chen Eintragungen gemachten Feststellung bestätigten. 
Auf alte Grabsteine mit alten hebräischen Inschriften 
ist man bei der Grabung leider nicht gestoßen7). Aus 
dem vorhandenen Quellenmaterial erfahren wir auch 
nichts über die inneren, bzw. religiösen Zustände 
der Brüxer J. G. während des Mittelalters. Nur das 
Eine ist daraus ersichtlich, daß die damals hier an¬ 
sässigen Juden, deren Zahl nicht allzugroß gewesen 
sein dürfte 8), sich hauptsächlich mit Geldgeschäften 
befaßten. Als Geldverleiher werden in den 
Brüxer Urkunden genannt: Ascher und Isaac (1393); 
Eberleyn (Kosename für Eber = Abraham) und seine 
Ehefrau Hester (1394); Michel und Heynemann oder 
Heymann = (1413—1418); Smohel-Schmud 
oder Samuel um 1419) ; Michel der Größere aus Bilin 
und Michel der Kleinere aus Melnik (um 1419) 9) ; 
neben Heymann (cech. Hewman) figuriert Jekel 
(Kosename für Jakob) als Geldgeber (1420), Ein sehr 
ausgedehntes Geldgeschäft betrieb Isaak allein und in 
Kompagnie mit seinem Bruder Salman (Schlesinger, 
Nr. 251 u. 252), seinem Sohne Leben (auch Lebe = 
Löb), (ibid. Nr. 272 u. 276) und seiner Frau Anna 
(ibid. Nr. 489). Viele Brüxer Bürger und nicht we¬ 
nige Edelleute in Böhmen und Sachsen waren seine 
Schuldner10). Wegen seiner Geldforderungen geriet 
Isaak in allerlei argen Streit, worauf der Herzog 
Friedrich von Sachsen und Pfandherr von B. ihn und 
seine Familie beiderlei Geschlechtes zu B. und Roch- 
litz ins Gefängnis werfen ließ. Die Gefangenen, von 
denen Isaak selbst inzwischen im Kerker gestorben 
war, verpflichteten sich laut Urkunde vomi 4. Sep¬ 
tember 1453 (Schlesinger, Nr. 292), für ihre Freilas¬ 
sung 650 Gulden rheinisch in Gold zu zahlen. Unter 
dieser Bedingung wurden sie freigelassen und gleich¬ 
zeitig ausgewiesen. Isaaks Vermögen wurde konfis¬ 
ziert. Sein Sohn Lebe, der hierauf nach Leitmeritz 
übersiedelt war, mußte einen Revers ausstellen, daß 
weder er noch seine Brüder noch seine Schwestern, 
Erben und Erbinnen oder irgend jemand von seinen 
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