Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

trag in einem (derzeit nicht mehr auffindbaren) jü¬ 
dischen Amtskontraktenbuch, Fol. I, registriert wor¬ 
den ist. Der fünfte Absatz jenes Vertrages enthielt 
das Abkommen mit der Herrschaft wegen jenes käuf¬ 
lich erstandenen Hauses C.-Nr. XXI, welches hier 
„die Gemein- oder Schulsingers Wohnung" genannt 
wird. Die jüd. Gemeinde verpflichtet sich für dieses 
Haus zu folgenden Leistungen: Alljährlicher Pacht¬ 
zins 8 fl. 30 kr., ferner zu einem 3pfündigen Zucker¬ 
hut oder hiefür 1 fl. 30 kr., zusammen 10 fl. Sie ver¬ 
pflichtet sich, dieses Haus in bester Ordnung zu ver¬ 
walten. Die freie Bogenhälfte der Urkunde trägt die 
kaligraphische Unterschrift: „Herrschaft Bfeznitz — 
Juden — Hauss-Kontrakt für die Juden-Gemeinde 
oder Schulsingers Wohnung in L. CN. XXI, Gründl 
buch-Fol. 180", darunter ein in hebräischer Schrift 
verfaßter Zusatz: „Kehilas-Haus-Kontrakt 
Die zweite Urkunde ist datiert: „geben zu Wienn, 
den 21ten April anno 1731" und ist von „Wilhelm 
Graff Kollowrath Freyherr v. Üjezd" unterschrieben. 
Die Urkunde stützt sich auf einen kaiserl. Erlaß „dto 
9ten 8 bris 1726", welche eine strenge Absonderung 
der jüdischen Wohnstätten von jenen der Christen 
fordert, der zufolge den Juden von B. die „Trans je- 
rie rungi( in die Gegend „auf dem sogenannten Lok¬ 
schan", wo ihnen „aus Gnaden des verstorbenen Frei¬ 
herrn von tJjezd" die neuen Wohnhäuser erbaut wor¬ 
den sind, angeordnet wurde. Dort wurde auch die 
Wohnung für ihren „Schulsinger" errichtet, für wel¬ 
che sie alljährlich eine Pacht von 46 fl. 40 kr. zu ent¬ 
richten haben. Diese „Juden-Schuel(i war anfangs aus 
Holz und derart herabgekommen, daß der Herr Graf 
ein neues Wohnhaus errichten ließ. Für diese neue 
„Juden Schuel" sollen nun die Juden 500 fl. zahlen, 
und zwar „zu St. Georgi anno 1731" 100 fl., weiters 
von 1732 bis 1735 je 75 fl. und im J. 1736 wieder 
100 fl. Alle diese Pachtbedingungen sind in diesen 
Kontrakt einbezogen worden und sind intabuliert 
„bey der brzeznitzer Würtschafts-Cantzley neue ver¬ 
fertigte Prothocoll und zur sicherer Beybehaltung von 
jetzt und ins Künftige gehandhabet werde, welches 
auch hiemit gnaedigst ratificiert wird". Die dritte Ur¬ 
kunde ist vom 17. März 1728 und betrifft das er¬ 
wähnte Verbot der beabsichtigten jüd. Schule und die 
Motivierung „infolge der Nähe der christl. Wohn¬ 
stätten66. Sie trägt die Überschrift „Uebersetzet aus 
dem Lateinischen!" und ist adressiert: „Dem Ehrwür¬ 
digen und Geliebten Tobias Wenzeslaus Wrba, Seel¬ 
sorger in Bubowitz abzugeben." Wir erfahren aus die¬ 
ser Urkunde, daß der Herr Baron von Üjezd dem 
fiirsterzbischöflichen Konsistorium eine Bittschrift ge¬ 
sandt hat, diese möge den Juden die Errichtung einer 
Schule im Hause Lokschan C.-Nr. XXI gestatten. Da¬ 
mals dürfte dieses Haus nicht allein die Front zum 
Platze in L., sondern auch eine zum Stadtplatze B. 
gehabt haben, denn das heutige Haus C.-Nr. XXI er¬ 
scheint uns als eine unscheinbare Enklave zwischen 
den Häusern des Adolf Weil und Zikm. Stefan- 
sky, so daß heute tatsächlich kein Fenster zum Stadt¬ 
platze besteht. Damals zur Zeit der beabsichtigten Er¬ 
richtung einer jüd. Schule — war gerade der Um¬ 
stand, daß das Haus „zwischen den Christenhäusern 
stellt", der Stein des Anstoßes! Aus diesem Anlasse 
teilt der erzbischöfliche Vikarius Ferdinand „für 
seine eigene Person, sowie namens des gesamten fürst- 
erzbischöflichen Konsistorium" mit, daß dieser Bitte 
nicht willfahrt werden kann, sondern daß die Juden 
ihre Schule an jene entlegenen Stellen des sogenann¬ 
ten L. verlegen sollen, welche ihnen zum Aufenthalte 
zugewiesen worden sind. Dabei hat das Konsistorium 
den guten Willen und die fromme Denkungsart er¬ 
wiesen und der „cancellarius Joanes Juck" schreibt 
darüber folgend: „— gleichwie wir derlei artigen an¬ 
dächtigen und lobenswerthen Anstalten auf keine 
Weisse entgegenseyn wollen, so entschliessen wir, dass 
die gedachte Jüdische Schule, die in der christl. Mitte 
und nahe der christl. Kirche (was unwahr ist!) ge¬ 
legen ist, an den nämlichen Ort, auf welchen diese 
Juden übersetzet sind, zu übertragen." 
In B. war wie in anderen Städten eine Drahtgrenze 
zwischen der Juden- und Christenstadt aus dem 
Grunde nicht notwendig, weil die Judenstadt L. — 
auch heute noch — ein durch die Pforte vollständig 
von der Christenstadt abgesonderter Stadtteil ist. 
Die Judenschule, um welche ein so heftiger Kampf 
geführt wurde, wurde im J. 1725 in der Mitte des 
zweiten Lokschaner Platzes errichtet; das Kirchlein 
jedoch, welches der ursprünglich projektierten Er¬ 
richtung im Wege stand, wurde kurz darauf demoliert 
und derart dem Erdboden gleichgemacht, daß heute 
die Breznitzer Bürger überhaupt nicht mehr wissen, 
wo dieses Gotteshaus stand. 
In dem Verzeichnis der „Leipziger Messgäste" von 
Dr. M. Freudenthal findet sich auch B. vor, und zwar: 
Abraham Bernhard 1738 bei Wolff Popper, Abraham 
Jakob (auch Jakob Abraham) 1730, 38, Wolff Loebl 
1738, Veitel Moses 1689, Joachim Popper 1752, Si¬ 
mon Popper 1723 bei Wolff Popper, Wolff Popper 
1722—24, 28—30, 34, 36—38, 52, mit Loebl He- 
nig aus Kuttenplan 28—30 und 34, Gerstl Simon 
1727, Salomon Simon 1720, Isak Veit 1712. (Die Jah¬ 
reszahlen bedeuten die Teilnahme der Breznitzer Ju¬ 
den an den Leipziger Messen.) 
Die Volkszählung vom J. 1824 verzeichnete für L. 
22 Judenhäuser mit 145 Einwohnern. Nach Sommers 
„Topographie des Prachiner KreisesS. 78, waren 
im J. 1840 in der ganzen Breznitzer Herrschaft — die 
Stadt B. ausgenommen — 3711 Personen, darunter 
23 jüd. Familien. Auf S. 78 ist die Stadt Breznitz mit 
87 Häusern und 820 Einwohnern, „die Vorstadt" mit 
114 Häusern und 946 Einwohnern, der Schio ßkom- 
plex mit 25 Häusern und 210 Einwohnern angegeben. 
Nach neueren Volkszählungen waren: in B. inklu¬ 
sive L. im J. 1900 — 118 Juden, im J. 1910 — 68 Ju¬ 
den; in Drahenice im J. 1900 — 1 Jude, im J. 1910 
— keiner; in Rozmital im J. 1900 — 17, im J. 1910 
— 6; in Nestrasovice im J. 1900 — keiner, im J. 1910 
— 4; in Tochovice im J. 1900 — 14, im J. 1910 — 7; 
in Uzenice im J. 1900 — 5, im J. 1910 — 7; in Vse- 
vily im J. 1900 — 2, im J. 1910 — keiner; in Zá» 
behlá im J. 1900 — 2, im J. 1910 — keine Juden. 
Die Vorstadt L. bildete trotz der unmittelbaren 
Nähe von B. „eine von dieser Stadt vollständig unab¬ 
hängige, in sich abgeschlossene Stadt für sich". Hier 
war eine zahlreiche J. G. im engen Räume aneinander- 
gepreßt und verblieb hier in unveränderten Verhält¬ 
nissen noch lange nach dem Jahre der Emanzipation, 
dem J. 1848. Erst der Zeitraum der letzten 10 bis 
20 Jahre hat dem Ghetto ein Ende bereitet; in dieser 
Zeit beginnt ein Abflauen der Juden vom Lande an 
die größeren Städte. 
Wenn wir nach den Gründen forschen, welche die 
Juden noch beinahe ein volles Jht. nach deren Be¬ 
freiung in den engen Mauern des Ghetto hielt, so fin¬ 
den wir, daß neben ihren materiellen Bedürfnissen 
(Handel, Beruf) auch ethische Gründe den Ausschlag 
gaben. Viele Erinnerungen, welche uns diese Lebens¬ 
bedingungen erklären könnten, sind uns infolge der 
Gleichgültigkeit der neu herangewachsenen Genera¬ 
tion zu allen den väterlichen Traditionen, selbst zu 
jenen, die noch den Großvätern allerheiligst waren, 
unwiderruflich verloren gegangen. Sehr willkommen 
war der Fund eines zahlreichen Schriftenmaterials im 
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Breznice 5
	        
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