Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

105.000 Kc an Stadtbaumeister Josef Schmidt in W. 
unter Aufsicht des Arch. Louis Wolt von Budweis 
übergeben und unverzüglich begonnen. Der zumindest 
zweckmäßige und gefällige Bau liegt an der Ecke der 
Pragerstraße und Kinostraße am sogenannten 
Bartholomäusfeld (einem sich entwickelnden neuen 
Villenviertel). Oberhalb des würdig ausgestatteten 
eigentlichen Tempelraumes und der Kanzlei befindet 
sich die Wohnung des Rabbiners. Der Betraum ent¬ 
hält Sitzbänke für etwa 70 bis 80 Personen (nach 
Geschlechtern getrennt). Sinnig und effektvoll wirkt 
die Wand- und Deckendekoration (Goldsterne auf 
blauem Hintergrunde), besonders bei reicher elek¬ 
trischer und Kerzenbeleuchtung vermittelst hübscher 
Luster und Leuchter; unter diesen ist besonders einer 
erwähnenswert, dessen Alter auf 80 Jahre geschätzt 
wird, von der sonstigen Ausstattung auch einige 
Paroches zwischen 60 und 90 Jahren. 
Die feierliche Einweihung am Sonntag, den 3. Jän¬ 
ner 1926 (17. Tebet 5686) vollzog Herr Professor 
Dr. Max Hoch, Rb. in Pilsen, unter Assistenz der 
Herren Rb. Julius Löwenbein in W. und Arnold 
Flaschner von Strakonitz. Vorher hatte Rb. L ö- 
w e n b e i n nach bezugnehmender Ansprache das 
„Ewige Licht46 entzündet und K. V. Leo Schwarz 
ebenso das Gebäude durch Bürgermeister Felix 
Pohl in Obhut der Stadtgemeinde übergeben. Nach 
der Weihe hielt Prof. Dr. Hoch eine schwungvolle 
deutsche und tschechische Festpredigt, in dem beach¬ 
tenswerten Gedanken friedlichen Einvernehmens 
zwischen Konfessionen und Nationen gipfelnd. Daran 
schloß sich ein Festgottesdienst, dessen musikalischen 
Teil Chorregent Heinrich Schlattner von W. am 
Harmonium und Sänger und Sängerinnen der K. G. 
versahen, wobei sich als Bariton besonders Dr. Karl 
Klement aus Prag (ein gebürtiger Winterberger) 
auszeichnete. Mit dem Minchagebet schloß die Feier. 
Anwesend waren hiebei noch Vertreter der pol. Be¬ 
zirksverwaltung Prachatitz, der Staats- und Gemeinde¬ 
ämter (darunter OLGR. Stepanek), fast der ganze Ge¬ 
meinderat, die Kultusvorsteher der Nachbargemein¬ 
den und andere Persönlichkeiten. 
Kurz nachher übersiedelte K. V. L. Schwarz nach 
Prag; sein Amtsnachfolger wurde am 8. Feher 1926 
Ignaz F antes, welcher am 27. März 1931 im 68. Le¬ 
bensjahre starb. Seither ist K. V. Berthold Eigner 
(siehe S. 366). 
Regelmäßige Gottesdienste finden nunmehr 
ausschließlich in W. statt, u. zw. an Freitag-, Sabbat- 
und Feiertag-Abenden, sowie anläßlich verschiedener 
Gedenktage wie bei Jahrzeiten, am Purim, 9. Ab., 
Selichot usw. entsprechende Andachten. Reli¬ 
gionsunterricht erteilt der Rb. in W. (ein¬ 
schließlich der Nachbargemeinde Boubská) 8 Schülern, 
in Außergefild (deutsch) und in Ckjn (tschechisch) je 
2 Schülern, zusammen 12 (vergleichsweise 1923 in 
Winterberg allein 18). Nach einem Schlaganfalle Ende 
September 1930 wurde Rb. Löwenbein dauernd 
dienstunfähig und daher pensioniert; seine Funktionen 
versehen seither der Rb. aus Wodnian und der 
hiesige Tempelvorsteher Gustav F a n t 1. 
Am Friedhof in Ckjn wurden nach erwähntem 
Gräberverzeichnis seit 1688 rund 500 Personen be¬ 
erdigt, u. zw. nur in Familien-Grabstätten mehrere 
nebeneinander, daher ist auch die Zahl der Grabstel¬ 
len ungefähr die gleiche. Nach Abzug von 15 Kriegs¬ 
flüchtlingen stammen die Verbleibenden laut vor¬ 
handenen Ortsangaben aus: Ckjn 56, Winterberg 47, 
Zdikau 33, Böhm.-Röhren 11, Precin 10, Eltschowitz 
und Hostitz je 7, Drschinka und Boschitz je 6, Außer¬ 
gefild 5, Bohumilitz, Mutenitz und Cestitz je 4, Bu- 
dilau und Malonitz je 3, Wolenitz 2; Langendorf, 
Nezdasov, Schattawa, Oberplan, Wilkowitz, Ogfolder- 
haid, St. Mara und Reschelau (zum Teil wohl nur als 
Abstammungsorte Verwandter oder anderer jüdischer 
Zugehöriger zu betrachten) je 1. Die übrigen Fälle 
ohne Ortsangaben dürfen wohl auch zum Großteil aus 
nächster Umgebung von Ckjn und den stärkeren 
Siedlungen stammend angenommen werden. Denn auch 
die übrigen Matriken erweisen sich bei Vergleich 
wenigstens anfangs als unvollständig, weil z. B. das 
Geburtsbuch als selbständige Juden-Matrik erst 
1788 — also rund 100 Jahre später — beginnt und 
auch noch lange nachher unter Aufsicht des kath. 
Ortsipfarrers und früheren einzigen Matrikenführers 
überhaupt stand, der vielleicht mit den jüdischen Be¬ 
wohnern des Amtissprengels nicht volle Fühlung hatte. 
Rh. Josef Bloch, welcher obiges Gräberverzeichnis 
erst 1906 anlegte, konnte also wohl nur mit Hilfe von 
Grabsteininschriften, der lückenhaften älteren Matri¬ 
ken, etwaiger anderer schriftlicher und mündlicher 
Überlieferungen die Daten — soweit eben ermittelbar 
— mühevoll sammeln und ordnen; er unterzog sich 
auch der dankenswerten weiteren Mühe, sämtliche 
hebräischen Grabsteininschriften (soweit leserlich, 
teils auch deutsch) in einem Anhange von 57 Gro߬ 
folioseiten wiederzugeben und dadurch der Nachwelt 
zu erhalten. 
Im hiesigen jüdischen Siedlungsgebiete selbst sind 
über 100 ansässig gewesene Stämme, bzw. Familien zu 
unterscheiden (ohne Kriegsflüchtlinge und Einhei¬ 
raten). Hebräische Namen dürften zum Teil auch als 
Vorläufer anderer, um 1800 angenommener oder bei¬ 
gelegter Familiennamen zu betrachten sein; doch ist 
der Zusammenhang mangels näheier Daten oft unklar. 
Nach der Zahl ihrer bisher Verstorbenen rangieren an 
erster Stelle die K o h n; dann folgen die L e d e r e r, 
Meir-Zdekauer, Abraham-Löwit, Fanti, 
Sittig, Wedeies, Fantes, Arnstein und als 
10. die C h a j i m. Zusammen 237 Personen; der Rest 
von etwa 250 Seelen verteilt sich auf die übrigen 
Stammfamilien und 40 Einzelpersonen wie im Vorher¬ 
gehenden ersichtlich. Nach Abwanderung der Flücht¬ 
lingsreste (von denen auch einige ansässig blieben) 
war die Durchschnitts-Sterbeziffer im Bereiche 
der heutigen (allerdings auch räumlich kleineren) 
K. G. wie gesagt wieder ein bis zwei Fälle jährlich, 
d. i. wie um die Wende des 18. und 19. Jhts.; also eine 
weitere Bestätigung des zahlenmäßigen Rückganges 
im allgemeinen. 
Laut genehmigtem Statut von 1900 und Änderungen 
von 1920 werden die von der Gemeinde erhobenen 
Kultusbeiträge und Gebühren (Familien¬ 
einkommen unter dem üblichen Taglohn ausgenom¬ 
men) mit jeder Neuwahl des Kultusgemeindevor- 
standes erneuert. Andere Einrichtungen sind die 
Chewra-Kadischa (Beerdigungsbrüderschaft), 
der fast alle Mitglieder der K. G. angehören. Deren 
Obmann ist seit 1919 Herr Gustav Fanti. Außerdem 
bestehen etwa 40 Jahrzeit-Stiftungen. 
Der heutige Amtsbereich der K. G. umfaßt 
die Gerichtsbezirke W. und Wallern, d. i. zwischen der 
böhmisch-bayrischen Landesgrenze im Südwesten und 
den Gerichtsbezirken Bergreichenstein im Westen, 
Wolin im Norden, Prachatitz und Kalsching im Osten 
und Oherplan im Südosten. Der Stand der jüdischen 
Bevölkerung in den (von zirka 20 oder mehr Siedlun¬ 
gen, wovon manche auch durch die Neukonstituierung 
an sich ausgeschieden worden sein mochten wie ander¬ 
seits Außergefild dadurch einverleibt) verbliebenen 
vier Orten war 1930: in Winterberg (mit Boub¬ 
ská) 20 Familien (bzw. Parteien) mit zu¬ 
Winterberg 6 
696
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.