Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Geschichte der Juden in Winterberg und Umgebung. 
Bearbeitet von 
Josef Rammel, Stadtchronist, Winterberg. 
Uransiedler. 
In einem „Wirtschaffts- wie auch Cantzeley-Calen- 
cler (Auffs Jahr nach der Geburt Christi M.DC.LXXXIII 
[1683]) gedruckt bey Joh. Arnolt von Dobroslawina 
(Prag u. Leitomischl)44 — im Besitze Herrn Dr. Bu- 
dinskys in W. — findet sich unter Montag, 4. Janu¬ 
arius 1504 folgende Anmerkung: „Zween Juden we¬ 
gen tödtung eines Christen Kindes sind bey S t r a k o- 
n i t z verbrennet worden.44 Würde sich der Zeit nach 
mit anderen Quellen decken, wonach die Juden- 
gemeinden um Wo lin u. Strakonitz aus dort 
angesiedelten holländ. Juden im 16. Jahrhundert ent¬ 
standen sein dürften. 
Urkundlich erscheinen die ersten Juden auf 
dem Gebiete der heutigen K. G. (Gerichtsbezirke W. 
und Wallern) in W. i. J. 1625. Da wird anläßlich einer 
behördlich veranlaßten Zählung nebst zwei aus Prag 
hieher gekommenen Juden namens Jakob Muncka 
und Herschman P o 1 a k (die wieder abwanderten) 
auch ein Israel F a n d 1, herrschaftlicher „Schutzjude44, 
genannt. Die Juden waren hier „ohne kaiser!. Kon¬ 
sens44 seßhaft gemacht, und zwar herbergsweise, jedoch 
unter grundobrigkeitlichem Schutze; d. h. sie be¬ 
zahlten für sogen. Schutz und Duldung auf der Herr¬ 
schaft eine besondere, „Schutzgeld44 genannte Steuer, 
hatten an manchen Orten auch ausgemerztes Vieh 
(Brackvieh) zu nehmen, nötigenfalls für die „gnäd. 
Herrschaft Kürtzen-Inslet (Kerzen-Unschlitt) zu ver¬ 
schaffen44 und den kaiserlichen „Fleischkreuzer44 zu 
tragen. Herrschaftsbesitzer war Joachim Novohradsky 
von Kolowrat; da die Burg durch die protestantischen 
Mansfeldisohen Truppen 1619 zerstört worden war, 
sollen die Kosten des Wiederaufbaues 1630 zum Ver¬ 
kauf der Herrschaft an die Fürsten von Eggenberg im 
„Herzogtum44 Krummau gezwungen haben, die sie 
1719 durch die kinderlos gestorbene Witwe Maria 
Ernestine, geborene Gräfin Schwarzenberg, an dieses 
Fürstenhaus vererbten. Winterberg war seit 1479 
Stadt mit Markt-, Maut- und Zollrecht auf der Straße 
nach Passau, seit 1494 befestigt. Die Bevölkerung war 
seit den Hussitenkriegen (1419—1434) meist tsche¬ 
chisch und protestantisch, wurde aber unter Eggen- 
bergischer Neubesiedlung durch Deutsche und unter 
der sonst streng gehandhabten „Gegenreformation44 
allmählich wieder deutsch-katholisch. Sie teilte sich in 
69 „Stammbürger44 (Hausbesitzer) und zu ihnen ge¬ 
hörige „Kaluppner44 (Taglöhner und Dienstboten), die 
erst durch Besteuerung ab 1770 Eigentümer wurden, 
samt Vorigen nun 155. Diese Unterscheidung drückt 
sich noch heute in „kleiner44 Holz-, bzw. „großer44 Holz- 
und Brauberechtigung der Besitzer solcher Häuser 
aus. Die Leibeigenschaft war hier seit 1613 gemildert. 
Krieg und Pest (1618—1648) legten fast allen Handel 
lahm. Die Unsicherheit der Straßen noch lange nach¬ 
her erhellt aus einem Winterberger Magistratsproto¬ 
kolle von 1660, wonach Horaschdiowitz (nordwestlich 
Strakonitz) um den Scharfrichter ansuchte, was gegen 
„Hin- und Rückgeleite44 bewilligt wurde. 
Anno 1665 wanderte nach W. der weitere Jude 
Joachim S ä b 1 (auch S a b 1 und Schabte genannt) 
ein; er war der Schwager des erwähnten F and 1 und 
stammte „aus Mähren44. 1674 ist er jedoch mil Hinter¬ 
lassung von Weib, Kindern und schuldigen Schutz¬ 
geldes entwichen. 
1673 bittet Michael F a n d 1 (Sohn Israels), 
seinen „jüngsten Eidam4' Lazar Meiler in Winter- 
berg ansiedeln zu lassen, da er „infolge seines hohen 
Alters nicht mehr arbeiten kann44; 1675 bekommt 
Letzterer diesen „Schutzbrief44 auf 10 Jahre gegen 
Bezahlung jährlicher 12 fl. — 1680 bestehen die 
„beiden Judenfamilien44 samt Dienstboten in 19 
Köpfen. — 1686 verlängert Fürst Hans Christian 
v. Eggenberg die Schutzbriefe; die „drei Familien'4 
(Marco oder Markus Fand 1, Sohn Michaels F., 
und wahrscheinlich S ä b 1 und Melier) zahlten zu¬ 
sammen 60 fl. ins herrschaftl. Rentamt und hatten 
„in die Müntz4* 100 Mark Bruch- und Pagamentsilber 
gegen gewöhnliche Bezahlung zu liefern. In Josef 
Puhanis Chronik von W. u. Umgebung (im älteren 
Teil dem Schwarzenbergischen Archiv in Winterberg 
entnommen) wird ein Silberbergwerk schon 1531 in 
Ckjn (zwischen W. u. Wolin) erwähnt. Bis zumindest 
1677 wurde auch bei W. Gold und Silber gegraben 
und gewaschen und die Ausbeute mußte — weil 
obrigkeitliches Gebiet — dieser abgeliefert werden 
gegen Zahlung von 17 fl. 30 Kreuzer für eine „Wie¬ 
ner Mark44 und 1 fl. 5% Kreuzer für das Loth = 
2'75 dkg. (Eine „zwölflöthige Mark cölnisch Ge¬ 
wicht44 hatte um 1819 nach A. F. Mackloths „Conver- 
sations-Lexikon4' 12 Loth Silber und 4 Loth Kupfer). 
Als Beispiel des Geldwertes um 1683 (zur Zeit der 
Wiener Türkenbelagerung, wo eher mit gewisser Ent¬ 
wertung zu rechnen ist) sei nach Winterberger Raths¬ 
protokollen erwähnt: das Pfund Rindfleisch kostete 
2 Kreuzer (um 1 Gulden zu 60 Kreuzer bekam man 
somit 30 Pfund!); die vollständige Neuausrüstung von 
2 Rekruten zusammen „bey 50 fl.44 (Röcke mit Zinn¬ 
knöpfen, Lederhosen, Strümpfe und Schuhe, je 
2 Hemden und Halstücher, Hüte, Handschuhe, Ge¬ 
wehr, Degen, Patrontasche, „Ranzen44 usw.). 
Jedenfalls genossen die Winterberger Juden mehr 
Toleranz als z. B. in Prachatitz (östlich davon), wo 
um 1680 Eggenberg ihre Beherbergung wegen Pest- 
einschleppungsgefahr verbot. Die Seuche kam aber 
trotzdem herein, vielleicht auch durch „blessierte 
Soldaten \ die auf den „Schlief five gen" ins Passauer 
Bistum verkehrten. Rodung des Urwaldes — der fast 
noch die ganze Gegend bedeckte und Bären u. Wölfe 
beherbergte —, erwähnte Besiedlung und auf der 
Winterberger Herrschaft allein entstandene 7 Glas¬ 
hütten — darunter der Erfinder des Rubin- und 
Kreideglases Michael Miliner — belebten den Han- 
44* 
691 
Winterberg 1
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.