Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

wobei der Rabbiner Prof. Dr. Kurrein die ab¬ 
schließende Festansprache hielt. Geheimrat Hirsch, 
der auch dem Stadtverordnetenkollegium angehörte 
und sich wissenschaftlich betätigte, hatte nahezu 
40 Jahre selbstlos als Chefarzt des Hospitals den 
Kranken seine ausgezeichneten Dienste gewidmet. Er 
erhielt 1878 den Titel eines Kgl. Preußischen Sani¬ 
tätsrates, 1883 den Preußischen Roten Adlerorden, 
1893 den Titel Geheimer Sanitätsrat, 1898 vom da¬ 
maligen Kaiser das Ritterkreuz des Franz Josefs¬ 
ordens, im Jahre 1908 vom ehemaligen deutschen 
Kaiser den Preußischen Kronenorden 3. Kl. und 
wurde 1908 als ehemaliges Mitglied des Stadtrates und 
erster Jude Ehrenbürger der Stadt Teplitz. Am 
10. August 1908 starb er im Alter von 74 Jahren, 
nachdem ihm ein Jahr vorher seine Gattin Pauline, 
geb. Mendel, nach 44 jähriger glücklichster Ehe im 
Tode vorangegangen war. Er gedachte noch in seinem 
Testamente des Hospitals mit einem Legate. 
Dem großen Beispiele des Vaters folgend, versieht 
Dr. Rudolf Hirsch seitdem das verantwortungsvolle 
Amt des Chefarztes im Hospitale in bewunderungs¬ 
werter und gütiger Weise, nachdem er schon seit dem 
Jahre 1897 an der Seite seines Vaters als zweiter 
Arzt gewirkt hatte 34). 
Als Direktoren wirkten im Hospitale Josef Rinds¬ 
kopf, Moritz Steiner und nach dem frühen Ableben 
Ludwig Rotschilds (gest. 9. Jänner 1927) Dr. Josef 
Polacek, der seitdem umsichtig und fördernd die 
Agenden des Institutes leitet. Das alte Gebäude wurde 
gründlich renoviert und durch die Aufsetzung eines 
zweiten Stockwerkes die Möglichkeit geschaffen, die 
Bettenanzahl zu vermehren. 
Kehren wir wieder in die Vergangenheit unserer 
Gemeinde zurück. In den vierziger Jahren, in denen, 
wie wir bereits erfahren haben, David Pick das Rabbi- 
nat inne hatte und die Kultusreform, wenn auch be¬ 
grenzt durch die Widerstände konservativer Gemeinde¬ 
mitglieder, weitere Fortschritte machte, wurde das 
Eheschließungsrecht erweitert (1843), das israelitische 
Lokal-Armeninstitut in Teplitz gegründet, dessen Di¬ 
rektor Rabbiner Pick war und dessen Verwaltung A. 
M. Birnbaum, David Popper und Hieronymus Perutz 
übernahmen. Die Judensteuer fiel 1846. Die Juden 
wurden aus der Untertanenklasse entlassen, verschie¬ 
dene Ausnahmsbestimmungen waren mit dem Revolu¬ 
tionsjahre 1848 hinweggefegt, die Juden erhalten volle 
Bürgerrechte. 1849 ziehen die Juden erstmalig als 
Bürger in die Stadtgemeinde ein, die Judengasse wird 
erweitert, beleuchtet und gepflastert. Im Jahre 1861 
vollzieht sich der völlige Anschluß der Juden an die 
Stadtgemeinde mit gleichen Rechten und gleichen 
Pflichten35). Die jüdische Gemeinde hört auf eine 
Kommune in der Kommune zu bilden, sie zahlt an 
die Stadtgemeide 30.000 fl., wogegen diese sich ver¬ 
pflichtet, den jüdischen Gemeindemitgliedern das 
Bürgerrecht zu verleihen, die jüdische Schule mit 
zwei Lehrkräften in dem städtischen Schulgebäude zu 
erhalten, und den städtischen Sitzungssaal der Ge¬ 
meinde im Bedarfsfall zur Verfügung zu stellen. 
Dafür übernimmt die jüdische Gemeinde die Für¬ 
sorge für ihre Armen. Die Wasserversorgung der Juden¬ 
gasse, welche später den Namen Karlsgasse erhielt, 
wird durchgeführt, das Sofienbad bleibt im Besitze 
der Judengemeinde, die es an die Stadt verpachtet. 
Es sei erwähnt, daß in diesen Jahrzehnten die Beerdi¬ 
gungsbrüderschaft, deren Bestand wir schon am An¬ 
fang des 19. Jahrhunderts aus den Quellen kennen 
und deren Anfänge natürlich auch in Teiplitz auf eine 
weit frühere Zeit zurückreichen, nach wie vor ihre 
pietätvolle Tätigkeit gegen Tote und Lebende übt. 
Ihr verdienstvoller Vorsteher war damals Samuel 
Fürth. 
Es wirkten in den fünfziger Jahren auf humanitä¬ 
rem Gebiete der Verein „Bikkur Cholirndessen Vor¬ 
steher Ludwig Hahn war, der „Frauenverein6, der 
,,Verein f rommer Frauen \ über die wir noch einiges 
berichten werden, der „Brautaussteuerverein44 unter 
Vorsitz von Rosa Perutz, der Verein „Talmud-Thora44, 
dessen Leitung Leopold Samel inne hatte, der „Tem¬ 
pelverein44 mit David Fischer und Moritz Taussig an 
der Spitze, der „Gewerbeverein44 unter Führung von 
Ludwig Hahn, die „Philipp Spitzsche Chanuka-Stif- 
tung zur Bekleidung armer Kinder am Chanukafest44, 
die vom Stifter geleitet wurde. Wir haben in den 
sechziger Jahren schon an 60 größere und kleinere 
Stiftungen 3e). 
Der Vorsteher der Gemeinde in den vierziger Jah¬ 
ren war Aron Stern, der Lehrer an der jüdischen 
Schule war zu jener Zeit David Sohr. 
Als Vorbeter wird uns in diesen Jahren Lippmann 
Deller und Josef Mayer, als Tempeldiener Isak Sonne¬ 
wald (1840) und Jesaias Walter (1846) genannt. 
Die Geschichte der israelitischen Privatschule wird 
einer besonderen Betrachtung weiter unten über¬ 
lassen. 
In dieser Zeit finden wir eine durchaus geordnete 
Matrikenführung in unserer Gemeinde, und in ihrem 
Kreise. Die Matriken sind ornungsgemäß seit 1840 
geführt. Wir haben aber regelmäßige Aufzeichnungen 
der Trauungen seit 1789, der Geburten und Sterbe¬ 
fälle seit 1815. Die Eintragungen werden, wie überall, 
auch in Teplitz nunmehr nicht mehr vom Lehrer der 
deutschen Judenschule wie ehedem, sondern vom 
Rabbiner durchgeführt und vom Dechanten regel¬ 
mäßig kontrolliert. So zeichnet 1840 und folgende 
Jahre Pater Hikisch, Dekan Administrator, 1847 De- 
chant Dobisch. 
Aus den Matrikenbüchern ergibt sich, daß eine be¬ 
deutende Anzahl von Ortschaften zum Gemeinde¬ 
bezirke der Teplitzer Matriken gehörte. Es sind dies 
Peterswald, Sensemitz, Dorf Prassetitz, Dorf Turn, 
heute die bedeutende Industriestadt, die mit Teplitz 
baulich verbunden ist, Dorf Schönau, Aussig, Tür- 
mitz, Dorf Kulm, Dorf Schobritz, Krzemusch, Gar- 
ditz, Stadt Türmitz, Dorf Mosern der Herrschaft 
Priesnitz, Dorf Niematschken der Herrschaft Kosten¬ 
blatt, Dorf Pokau, Auf der Königshöhe, Haan, Dorf 
Kostenblatt, Arbesau, Spansdorf, Stadt Bilin. 
Beerdigt wurden in Teplitz Personen, die mitunter 
aus weiterer Entfernung stammten, so aus Prag, Dres¬ 
den, Leipzig. Es mag auch der eine oder der andere 
als Heilungsuchender hier gestorben sein und hier 
seine letzte Ruhestätte gefunden haben. 
Eine Episode aus der Amtszeit des Kreisrabbiners 
Pick verdient festgehalten zu werden. Im Jahre 1847 
erhoben die Ausschußmänner mit anderen Gemeinde¬ 
mitgliedern eine Beschwerde 37) gegen den Kreisrabbi¬ 
ner, welche, sofern nicht persönliche Gründe den An¬ 
laß gaben, geradezu einen Kulturkampf jener Tage in 
der Judengemeinde Teplitz darstellt. Die Beschwerde 
wurde erhoben, weil er, „durch die von ihm besuchte 
Rabbinerversammlung in Breslau aufgeregt, sich als 
Reformator aufspiele, weil er ferner katholische geist¬ 
liche Kleidung getragen, mit seiner Frau auf öffent¬ 
licher Promenade am Arme spazieren gegangen sei 
und weil er schließlich sich um die rituelle Gebahrung 
der Gemeinde zu wenig kümmere, die Erziehung der 
Jugend vernachlässige und in seinen Predigten die 
rabbinischen Gesetzesschriften und Gebräuche ver¬ 
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Teplitz 14
	        
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