Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

der auch für die Nationalversammlung in Frankfurt 
a./M. kandidierte, starb als Privatmann in Kratzau. 
Auch auf der kleinen Herrschaft L ä m b e r g wohn¬ 
ten ehedem einzelne Juden. Der schlesische Adel 
wandte sich zu Beginn des 15. Jhts., da seit dem J. 1395 
den Juden der Aufenthalt und Erwerb von Grund¬ 
besitz in Görlitz versagt war, vorzugsweise an die in 
dem nicht allzuweit entfernten Löwenberg („Läm- 
berg") wohnenden Juden um Darlehen40). 
LIEBENAU. 
Im J. 1806 fiel in dieser Stadt alles einer Feuers¬ 
brunst zum Opfer. Wie durch ein Wunder wurde der 
Kasten, der die Dokumente betreffend die Stadtprivi¬ 
legien enthielt, gerettet. Die überraschend guterhal¬ 
tenen Pergamentrollen und Mappen samt Siegel wur¬ 
den im Original erst im J. 1924 wieder aufgefunden. 
Nach Wallensiteins Tode fiel die Herrschaft Liebenau 
an Isolani, dessen Tochter als Äbtissin ins Kloster 
trat und sie als Mitgift mitbrachte. Unter den neuen 
Dokumenten nehmen 5 auch Bezug auf Juden. 
28. Feber 1690: Maria Kunigunde Hildebrandin 
Obristin und Conventh d. regul. Chorfrauen v. Set. 
Jacob verleihen einige Stadtrechte. Unter Punkt 8. 
„Achtens von altersher niemalils kheine Juden im 
Städtl. Libenau sesshaft gewesen, das auch hiefür 
kheine aida verstattet werden sollen.66 
1. Dezember 1731: Catharina Antonia Binderin 
Obristin und Convent d. regul. Chorfrauen Set. Jacob 
bestätigen vorgenannte Rechte (vorzitierter Punkt 8 
ist hier unter Punkt 7). 
30. Jänner 1747: Victoria Freiin von Landau und 
Convent, Bestätigung des Vorgenannten. 
20. Oktober 1748: Kaiserin Maria Theresia bestätigt 
die erteilten Rechte v. d. Stift Set. Jacob. 
27. April 1783: Kaiser Joseph bestätigt die erteilten 
Stadtrechte. 
Letzteres ist umsomehr verwunderlich, da dieser 
Herrscher bekanntlich die Klöster auflöste. In den 
Originaldokumenten ist nirgends von einer „Gnade" 
die Rede, die der Bürgerschaft von L. durch das Vor¬ 
recht, Juden nicht zu dulden, erteilt worden wäre. Die 
„Mitteilungen64 und andere Werke, die es in dieser 
Fassung bringen, sind demnach zu berichtigen. Wahr¬ 
scheinlich richteten sie sich nach der im Stadtbuche 
enthaltenen Kopie, die vermutlich aus dem Gedächt¬ 
nis zitiert hatte. 
Während 1808 der „Obrigkeits-Branntweinhaus66- 
Pächter Moisés Rosenstein und 1812 die Schutzijüdin 
Anna Schiller unbehindert in L. wohnen durften, ent¬ 
brannte im J. 1838 ein Wohnrechtsstreit, worüber 
§ 38 der alten Chronik von L., „Memorabilien66 ge¬ 
nannt, unterrichtet. Die Liebenauer Wegmaut war bis 
dahin an christl. Mautpächter vergeben. Im genannten 
Jahre wurde jedoch die Pachtung vom Münchengrätzer 
Juden David Kompert erstiegen. Gleich darauf schloß 
er mit dem Liebenauer Bürger und Webermeister Ant. 
Jeranek einen Mietvertrag ab, damit er ihn zur Ein¬ 
hebung der Maut in seinem Hause ein W ohnrecht ein¬ 
räume. Der Magistrat trug jedoch diesem auf, den Ver¬ 
trag mit dem Juden sogleich zu annullieren, u. zw. 
aus dem Grunde, weil es Juden nicht gestattet sei, in 
L. zu wohnen. Kompert legte jedoch beim Kreisamte 
eine Beschwerde ein. Bald darauf wurde wegen einer 
Wahl eine Bürgerversammlung abgehalten, wobei auf 
Verlangen die städt. Privilegien vorgelesen wurden. 
Als die Bürger erfuhren, daß es keinem Juden gestat¬ 
tet sei, in L. zu wohnen, so entstand unter ihnen ein 
Murren gegen das Vorgehen des Jeranek, der zugegen 
war. Kurze Zeit darauf erschien eine Kommission des 
Kreisamtes auf dem Rathause zu L. und revidierte die 
städt. Privilegien. Sie beanständete den Judenpunkt, 
weil er dem Schlußpassuis der Privilegien widerspricht, 
wonach diese aufzuheben seien, wenn ihnen höhere 
Verordnungen zuwiderlaufen. Hierauf wurde Kompert 
provisorisch als Pächter eingesetzt und ihm auch das 
Wohnrecht eingeräumt. Diese Verfügung wurde so¬ 
wohl vom Landesguberniuin als auch von der Hofstelle 
bestätigt. Alle Rekurse scheiterten an der Bestimmung 
eines Hofdekretes, wonach jüd. Mautpächtern das 
Wohnrecht in den Städten während der Zeit der Pach¬ 
tung gestattet sei. 
* 
Quellennachweis. 
Archiv des Ministeriums des Innern. 
Archiv der Stadt Reichenberg. 
Archiv der isr. Kultus gemeinde Reichenberg. 
Archiv der Bezirksbehörde. 
Archiv der ehemaligen Tuchmacherzunft und jetzigen Ge¬ 
nossenschaft in Reichenberg. 
Landesarchiv in Prag. 
Schloßarchiv in Friedland. 
Anton Fr. R e s s e I: „Heimatkunde des Reichenberger Be¬ 
zirkes, Stadt und Land." 1903—1905. 
„M itteilungen des Vereines für Heimatkunde des 
J eschken-Isergaues." 
Anton Ernstberge r: „W allenstein als Volkswirt ini 
Herzogtum Friedland." 1929. 
Joseph G r u n z el : ,.D. Reichenberger Tuchindustrie." 
* 
*) „Zeitgeschichte der hochgräfl. Clam-Gallas'schen Fabrik¬ 
stadt Reichenberg." 
2) Aus dem Cechischen übersetzt, „Die böhm. Landtagsver- 
handlungen und Beschlüsse." I. Prag, 1877. 
3) Julius Heibig: „Urkundliche Beiträge zur Geschichte d. edl. 
Herren d. Biberstein." 1911. 
4) Aus den Missivenbüchern J. 1623. Schloßarchiv Friedland. 
Der Liebenswürdigkeit der Herren Dr. Josef B e r g e r, Staats¬ 
archivar in Prag, Prof. Dr. Rudolf G i n z e 1 und Prof. Dr. Vic¬ 
tor Lug, beide in Reichenberg, verdanke ich einige Notizen in 
den Quellen. 
5) Käthe Spiegel im Sammelwerk: „Die Juden in Prag." S. 
142. 
6) Archiv des Min. d. Innern. F 67/7. Den auf R. sich bezie¬ 
henden Passus des Privileg, von Bassewi bringt Hallwicli nicht 
in seinem „Briefe und Akten", sondern wird hier zum er- 
stenmale veröffentlicht. Dieser Passus ist zwar nur im Kon¬ 
zept^ in 3 Exemplaren vorhanden, aber das Konzept hat An¬ 
spruch auf volle Gültigkeit, weil es mit den inneren Tatsachen 
in Übereinstimmung steht und obendrein auch von der Jiciner 
Kammer bestätigt wur4e. 
7). In den uneingereihten Akten. Arch, der Stadt R. 
8) „Chronik . . . zweyer Städten Friedland und Reichenberg." 
Prag, 1763. 
9) Von Syrowatka anläßlich des hundertjährigen Bestandes 
dieser Genossenschaft. 
10) Sessionsprotokoll. Arch. d. Stadt R. 
31) Max Freudenthal: „D. isr. Kultusgemeinde Nürnberg 
1874—1924." 1925. 
12) Marperberger: „Beschreibung des Tuchmacherhandwerks", 
1723. S. 109; G. Sartorius: „Gesch. d. Hanseat. Bundes", 
Bd. II, 2. Abt., S. 720/21, Bd. III, S. 323—330; Sartorius 
v. Waltershausen: „Urkundl. Gesch. d. Ursprungs der deutschen 
Hause", Bd. I, S. 292 ff. Raudnitz: „Reichenberg und dessen 
Tuchmanufaktur" in „Beiträge für Kunst" usw., Bd. II. Zitiert 
von Walter Hawelka: „Geschichte des Kleingewerbes 
usw." 1932, S. 47. 
13) Archiv des Min. d, In. 
14) Friedländer Lehenbuch, Bd. IV. Landesarchiv Prag. 
15) Das Wort Peschores, das auf den Urkunden irrtümlich 
mit weichem B geschrieben wird, stammt aus dem Aramäi¬ 
schen. In der Bibel heißt das hebr. Wort Pescher Deutung. 
Im Talmud bedeutet Pescharutha Vergleich, die gütliche Be¬ 
seitigung von Streitigkeiten, das Aufspüren von Auswegen, 
um einen Prozeß zu vermeiden. 
16) Der Mantelgriff (Kinjan sudar) war in der talmudi- 
schen Zeit ein Erwerbsakt. Dann wurde es mehr ein Symbol 
bei Übertragung von Objekten und Rechten, sowie auch zur 
Bekräftigung von Verträgen. 
17) Friedländer Lehenbuch. Bd. IV. Landesarchiv Prag. 
Hier zum erstenmale abgedruckt. 
18) Uneingereihte Akten. Archiv d. St. R. 
19) Vgl. „Gablonzer Tagbl." vom 22. Feber 1930, S. 7. 
20) „Die Wiener Juden-Kommerz, Kultur, Politik. 1700 bis 
1900." 1917. 
Reichenberg 40 
568
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.