Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

^alkzins, den Wollgroschen, den Bezug der herr¬ 
schaftlichen Wolle, die Webstuhlgelder usw. mit der 
Zeit immer geringer. Der verhältnismäßige Anteil der 
verteuerten Wolle am Gesamtverbrauch sank dau¬ 
ernd." Hawelka operiert auch nicht mehr mit dem 
portugiesischen Juden. Er ist der Erste, der ihn uner¬ 
wähnt läßt, doch hoffentlich nicht der Letzte. 
Die Analyse der Quellen, sowie die psychologischen 
Erwägungen steigern es bis zur Evidenz, daß die Dar¬ 
stellung, als wäre der Wollgroschen eine jüdische 
Erfindung gewesen, eine, wenn auch verhältnismäßig 
kleine Geschichtslüge ist, die nun gänzlich 
verschwinden sollte. 
Die Kultusgeineiiide (1801—1932). 
Die Neuzeit brachte mit Anbruch des 7. Jhzts. des 
vorigen Jhts. für die Juden drei köstliche Errungen¬ 
schaften: Freizügigkeit, Gewerbefreiheit und gesetz¬ 
liche Gleichberechtigung. Unter diesen günstigen 
Auspizien nahmen im J. 1861 ungefähr 30 jüd. Fa¬ 
milien in R. ihren bleibenden Aufenthalt. Zur Be¬ 
friedigung ihrer religiösen Bedürfnisse beschlossen 
sie alsbald!, sich zu einer K. G. zu vereinigen und vor 
allem für die zwei unentbehrlichsten Attribute einer 
solchen zu sorgen, für Gottesdienst und Gottesacker. 
Die vorbereitenden Arbeiten wurden einem aus fünf 
Glaubensgenossen, Jakob Spitz, Seligmann Taus¬ 
sig, Siegmund Liebitzky, Josef Kraus und 
Jakob Strenitz bestehenden Komitee übertra¬ 
gen. Als eigentlicher Gründer der K. G. kann Jakob 
Spitz, Inhaber der bereits erwähnten Garküche 
und Abkömmling von Eleasar Fleckeles und Sohn 
des Kreisrabbiners Isaac Spitz in Jungbunzlau gelten. 
Um die behördliche Bewilligung zur Bildung einer 
K. G. zu erwirken, wurden am 8. April 1862 die Sta¬ 
tuten eingereicht. Diese wurden aber von der Statt- 
halterei, wiewohl sie mit der Bildung einer Gemeinde 
grundsätzlich einverstanden war, nicht bestätigt, und 
zwar mit dem Hinweis auf eine zu erwartende allge¬ 
meine Kultusordnung. Die Statthalterei nahm übri¬ 
gens bei allen Anlässen den Standpunkt ein, daß es 
nur in Prag, nicht aber auf dem Lande eine gesetz¬ 
lich anerkannte isr. K. G. gibt. Die gewährleistete 
freie Religionsübung schloß die staatliche Anerken¬ 
nung einer K. G. noch nicht in sich. Deshalb konnte 
in R. erst ein Kultusverein entstehen, der sich nun 
auf Grund des Vereinsgesetzes am 1. Feber 1863 
konstituierte. Die Mitglieder des prov. Ko¬ 
mitees wurden nun auf drei Jahre zu Vorstandsmit¬ 
gliedern gewählt und aus deren Mitte ging die Wahl 
von J. Spitz als ersten Vorsitzendien hervor. 
An die Errichtung eines eigenen Gotteshauses 
konnte aus Mangel an Mitteln vorderhand nicht ge¬ 
dacht werden. Es konnte nur ein gemietetes Bethaus 
in Betracht kommen. Das erste befand sich im ge¬ 
mieteten Lokale des Friedrich Knoll, Röchlitzerstr. 
Nr. 2, N. C. 116/IV und wurde schon am 4. Septem¬ 
ber 1861 als am Vorabend des jüd. Neujahrsfestes 
im Beisein der eingeladenen Spitzen der Behörden, 
des Dechantes P. Ign. Frank und vieler Honoratio¬ 
ren, feierlichst eingeweiht. Die „Reichenberger Zei¬ 
tung44 brachte darüber die kurze Notiz: „In dem neu 
eingerichteten jüd. Bethause wurde zum ersten Mal, 
und zwar zur Feier des angehenden jüd,. Neujahrs 
Gebet abgehalten,44 Die Kosten für die Einrichtung 
dieses Bethauses wurden durch eine Anheihe per 
2760 fl. aufgebracht. Sie wurde als 276 Schuldver¬ 
schreibung à 10 fl. durch alljährlich vorgenommene 
Verlosung zurückgezahlt. 
Da die Gemeinde immer größer wurde undi bei¬ 
nahe auf 90 Familien anwuchs, erwies sich dieses 
Bethaus als zu klein. Obendrein war die Temperatur 
namentlich an den hohen Feiertagen durch die unter 
dem Betsaale befindliche Tuchpresse unerträglich. 
Daher wurde das Bethaus in das im Bau begriffene 
Haus des Eduard Elger, Friedländerstr. 10, N. C. 
241/1, verlegt. Zwei Stockwerke wurden mit 1. Ok¬ 
tober 1870 zunächst auf 10 Jahre mit einem jährl. 
Mietzins von 750 fl. gemietet und mit einem Auf¬ 
wand von mehr als 4000 fl. ö. W. adaptiert. Da das 
Gemeindevermögen zur Bestreitung dieser Auslagen 
nicht hinreichte, wurden Schulden kontrahiert, zu 
deren Tilgung sämtliche für Tempelzwecke gewidme¬ 
ten Spenden verwendet wurden. In diesem Bethause 
waren im unteren Räume 104 Männer- und auf der 
Galerie 104 Frauensitze angebracht. Das erste Musik¬ 
instrument, dessen man sich beim Gottesdienste be¬ 
diente, war ein gemietetes Harmonium. Es wich dann 
einer vom Felgenhauer Scharf erworbenen Orgel, die 
beim Baue des Tempels um den Preis von 700 fl. und 
einer schweren Thorarolle nach Münchengrätz wan¬ 
derte31). Nahezu zwei Jahrzehnte hindurch wurde in 
diesem gemieteten Bethause die Andacht verrichtet, 
bis der langgehegte und übermächtig gewordene Ge¬ 
danke, ein eigenes würdiges Gotteshaus zu bauen, 
Verwirklichung fand. 
Der Tempel. 
Eine Zierde der Stadt, erhebt sich in einer hoch¬ 
gelegenen Straße, der im Stile der Frührenaissance 
gehaltene, mit einer Kuppel gekrönte Tempel. Die 
erste Anregung zum Bau desselben gab im J. 1875 
Wilhelm Winterberg, der darüber eine Denk¬ 
schrift vorlegte. Er war auch der erste, der zum Bau- 
fonde einen ansehnlichen Betrag spendete. Es hat 
lange gewährt, bis diese Anregung in die Tat umge- 
Tcmpel (Außenansicht). 
setzt wurde. Erst 1883 wählte die Generalversamm¬ 
lung ein unter der Obmannschaft von Josef Lazan- 
sky aus 15 Mitgliedern bestehendes Komitee, dem 
die Lösung der Frage des Tempelbaues und alle 
Reichenberg 2G 
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