Der Wollegroschen.
Unter den zahlreichen Abgaben, die die Reichen-
berger Tuchmacher ihrer Grundherrschaft zu leisten
hatten, wurde keine so bedrückend empfunden, war
keine so verhaßt, wie jene, die den harmlosen Namen
,,der Wolle gr o sehen 6 führte. Er steht heute noch in
üblem Gedenken und hat mehr als andere Ma߬
nahmen und Vorkommnisse die Abneigung gegen die
Juden genährt. Seine Abschaffung wurde durch
einen Dankgottesdienst gefeiert. Das Gedenkbuch der
Tuchmacherzunft enthält darüber folgende Notiz:
„Anno 1777, den 20. May hat ein Ehrsames Hand-
werck zur Schuldigsten Dankbarkeith wegen erledig¬
ten Wollegroschen-Zünsungen, Bey der glorreichen
Kaisl. Königl. Maj. ums glückliche Regierung, in der
heil. Kreutz-Kirchen bey dem Altar des heil. Severy,
ein Solemnes Ambt halten lassen, zu welchem sowohl
die gantze Meisterschaft, als auch Gesellen und
Knappen Häuszern ordnungsgemässig ihren Zug bis
zur Kirche genommen, unter welchem Gottesdienst
das vorgeschriebene Particul des heil. Severy Jeder,
männiglich das erste mahl zum Küssen gereicht
wurde.44 Der heil. Severin ist der Schutzpatron der
Tuchmachergilde und die hierortige Tuchmacher¬
genossenschaft hält auch jetzt noch alljährlich am
Sonntag vor dem Severintage ihre gemeinsame Tafel
ab. Was hat es nun für eine Bewandnis mit dieser
ominösen Abgabe, deren Einführung soviel Staub
aufgewirbelt und deren Einstellung soviel Jubel aus¬
gelöst hat?
Im J. 1669 ließ Graf Franz v. Gallas als Reichen-
berger Grundherr auf Anraten seines Wirtschafts¬
hauptmannes Flic k den Tuchmachern eröffnen, d!aß
sie in Hinkunft verpflichtet sein werden, die Wolle
nur von der zu errichtenden herrschaftlichen Nieder¬
lage zu beziehen. Die Meisterschaft willigte ein. Doch
später stiegen in ihr Bedenken auf und sie berief
sich auf ihre Privilegien des freien Wolleinkaufs.
Doch die Bittschrift wurde vom Grafen abgewiesen
und das Aufbegehren mit strengen Worten verwiesen.
Anfang des nächsten Jahres haben nun die Ältesten
im Namen der ganzen Zunft sich kontraktlich ver¬
pflichtet, von jedem Stein Wolle 3 Kreuzer, vom
schweren Zentner 18 Kreuzer in die herrschaftl.
Renten abzuführen. Ein Jahrzehnt später wurde dafür
ein jährliches Pauschale von 500 fl. zugunsten der
Herrschaft festgesetzt, wogegen den Tuchmachern
schlag wie auch dieses Pauschale wurden nun „Wolle
die Befugnis eingeräumt wurde, die Wolle von wo
immer frei zu beziehen. Sowohl der frühere Zu-
groschen44 genannt. Der Zuschlag war 11, das Pau¬
schale 96 Jahre hindurch, also beide zusammen über
ein Jahrhundert in Geltung. Die Zunft suchte nun
immer wiedier diese Abgabe auf die Wollelieferanten,
die doch fast ausnahmslos Juden waren, abzu¬
wälzen. Höchstwahrscheinlich Anfang 1752 ging
eine Bittschrift der Zunft an den Grafen ab. Der
auch sonst so unterwürfige Ton wird womöglich noch
gesteigert. Wo es galt, etwas gegen die Juden durch¬
zusetzen, konnte dier Grundherr nicht genug um¬
schmeichelt werden.
„Ihro Hoch Reichs Gräff. Excellenz.
Hoch Gebohrener Reichs Graff.
Gnädigst Hoch gebittender Graff und Herr Herr.
Euer Hoch Reichs Gräff. Exzellenz.
In allertiffest untter Thänigster Submission ge-
horsambst Subblicando wir uns er Kühnen, diese de¬
mütigste Bittschrift zu Dero Füssen zu Legen, ganz
fussfällig er wehnent, welcher gestalten untter Haubt-
man Platzes Regierung, Sich dahmaliger Zeit ein
Portugiesischer Jud in R. ein gefunden und auffge¬
worfen, auch Bereitens die Würkliche Ansuchung
gethann, Wann Ihme alleinig Verstattet würde, Vor
das Gesambt Handtwerck der Tuchmacher die Wolle
zu führen, So Wolle er Jährl. 500 ß richtig und
Bar der Gnädigsten Obrigkeit abführen.
Nach Vernehmung dessen aber das Handtwerk der
Tuchmacher Beschlossen, Weillen Solches der Bür¬
gerl. Nahrung schädlich zu sein scheiiitt. Bey der
allergnädigsten Hohen Herrschaft Subblicando Eini
Zu Kommen, Besagtes Quantum zu erlegen, damit
niemandt andern als den Tuchmachermeistern die
Freyheit Zustände, die Wolle einzuführen. Welches
auch in Hohen Gnaden placidirt worden und seit-
hero die Erwenten 500 ß so genanndte Wolle Gro¬
schen all Jährl. richtig und Bar in Dero Hoch. Gräffl.
Renthambt abgeführt, auch Künftig un Weigerlich
\n aller untterthänigst — — Tiefst Gepflanzten
Schuldigkeit Zu Enrichten, so Willigst als Schuldigst
verbunden Sein werden.
Weilen aber der Judenschaft Ihre Handelschaft
und Einführung der Wolle Keines Wegs Ver weigert
werden kann, noch mag, So wäre dieses unser gantz
demühtig gesinnter Vorsatz (Wan Solche von Euer
Hoch Reichs Gräffl. Exz. Aller gnedigst approbiert
würde), dass Künftig die Juden von Jedweden Stein,
oder 20 Pfunden, deren Ein geführten Woll dem
Handwerck zu Einer Bey hülft, auf die 500 ß Wolle
Groschen, Vermög Einer von Euer Hoch Reichs
Gräffl. Exz. aller Gnedigst ausgestalten Taxa Zu er¬
legen, Verbunden und Gehalten Sein Sollten. Gleich
Wir Nur Euer Hoch Reichs Gräffl. Exz. uns Treu ge-
horsambste Untter Thannen Dero angebohrene Hoch
Gräffl. Mülden und Gnaden (Vor denen Juden) Jeder
Zeit genüssend und sattsamb Vermerken Lassen.
Dannen hero An Euer Hoch Reichs Gräffl. Exz.
unser alleruntterthänigst demütiges Bitten gerichtet,
Hochdieselbe geruhen uns Treu Gehorsambste untter-
thanen mit dero Hohen obrigkeitl. Gnadenstrahlen
ailermüldest an Zu blicken und (ohne all untter-
thänigste Vorschrift) unser obstehend ganz demühtig
gesinntes Vorhaben zu Com probiren und Vermög
Euer Hoch Reichs. Gräffl. Exz. Hohe macht und
Gnadenhand in allergnädigster Taxa auf jeden Stein
Wolle ausz zu setzen, Aller müldest Geruhen, damit
Künftig, So Wohl Von den Juden als auch andern,
dem Handt Werck nicht Zu Gethane, so mit Wolle
Handelschafft haben Treiben, dem Handtwerg Zu
einigen Beytrag deren 500 ß Wolle Groschen ohne
alle ausflüchten möchten entrichtet werden.
Welche Hohe Gnad der Himmel Viellfältig beloh¬
nen undt Tauszend Weege Höchst Vergnügt segnen
wird. Wir aber Zeit unseres Lebens Solche Hohe
Gnadt Bey Männigl. Rühmen unsz Höchstens ange¬
legen sein Lassen u. Maszen Wir in Tröstl. Hoffnung
und gäntzl. Zu Vorsicht Gewährige Gnade leben und
in erfüllter Bitt verharrende
Euer Hoch Reichs. Gräffl. Exz.
Treu gehorsambste Untterthanen:
Franz Klinger,
Joh. Jos. Knobloch.
Joh. Friedr. Beyer,
Joh. Jos. Jakob Witz3
dero Zeit Eltisten in Nahmen des
gesambten Handwercks.
Hierauf erging das „gnädige44 Dekret: Nachdem die
500 ß v. Pacht Zünsz oder so genanndte Wolle¬
groschen Von denn Subblikanten durch so Viele Jahr
in unsere Renthen richtig abgeführt worden, auch
damit Frembde und Juden nicht Besserer Condition
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