Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Grunde ab, weil das Haus sich in der Nähe des King¬ 
platzes befand, und „dieses wäre gerade entgegen¬ 
gesetzt dem früher Angeordneten, wo solche Küchen, 
meistens am Ende der Stadt sein durf- 
t e n44. Dies trifft auch auf die zweite Garküche zu, 
die im Gasthofe des Josef Berger, heute Gasthaus 
„Zur Stadt OlmiitzBirgsteingasse N. C. 254./IV, 
untergebracht war. Im J. 1812 führt Josua Österrei¬ 
cher, jüd. Steuerpächter und Schächter, Klage gegen 
den jüd. Trakteur des Josef Berger, namens Si¬ 
móles Oser. Es wurde ihm untersagt, einen anderen 
jüd. Schächter aufzunehmen, da nur Österreicher 
allein die Lizenz besaß, in R. und mehreren anderen 
Ortschaften die Schlachtungen vorzunehmen. Als einige 
Juden in den dreißiger Jahren um die Konzession für 
einen Glaubensgenossen aus Jungbunzlau einkamen, 
begründeten sie die Notwendigkeit einer neuen jüd. 
Gaststätte damit, daß bei Berger täglich 70—80 Perso¬ 
nen speisen. Merkwürdigerweise motiviert die Polizei 
die Ablehnung auch damit, daß „die Proponenten schon 
lange und gleich bei ihrer Ankunft in R. in christl. Gast¬ 
häuser zu Tische gegangen sind4\ Garkoch bei Berger 
war auch Wolf Prinz aus Turnau. Im J. 1826 wurde die 
Garküche gleichfalls in „Stadt Olmütz44 Josef Cantor, 
Schutzjude in Münchengrätz, übertragen, der dafür 
jährlich 100 fl. als Beitrag für die Stadtbeleuchtung 
entrichten mußte. Im J. 1845 wurde sein Schwieger¬ 
sohn, der Neukoliner Schutzjude und nachmaliger 
1. K. V., in R., Jacob Spitz mit der Besorgung der 
jüd. Küche betraut, der dafür jährlich 120 fl. C. M. 
in die städt. Renten abzuführen hatte. Der untere Teil 
der Birgsteingasse vor dem Hause N. C. 254-1V, das 
die Garküche beherbergte, heißt im Volksmunde 
heute noch der „Judenberg44 und die neben dem 
Gasthause „Zur Stadt Olmütz4' in die Steingasse füh¬ 
rende Stiege die „Judenstiege44. Wir hörten, daß 
schon im Trenklerschen Hause „das Tabernakel auf¬ 
geschlagen44 war. In der Garküche versammelte man 
sich zumindest allsabbatlich zum Gottesdienste. Dort 
wurden Aufgebote vorgenommen und Trauungen voll¬ 
zogen. Aus der ganzen Umgebung kamen Leute, um 
Hochzeit zu feiern. Daß in der Garküche regelmäßige 
gottesdienstliche Versammlungen stattfanden, geht 
daraus hervor, daß K a r p e 1 e s aus Prag im J. 1851 
einen Thoramantel und die Brüder Koppelmann 
aus Prag im J. 1859 ein eingerahmtes Tetragramma- 
ton spendeten, das heute noch im Wintertempel an¬ 
gebracht ist. Letzteres wurde der „Synagoge in der 
Stadt R" gewidmet. Ein Bethaus war es keinesfalls, 
aber auch eine Betstube heißt im Hebräischen Beth 
Hakneseth. Auch auf dem Titelblatte des I. Konferenz¬ 
buches der isr. Kultusgemeinde wird die Abhaltung 
von Gottesdiensten in der Garküche bezeugt. Frü¬ 
hestens wird man wohl erst Anfang der 50er Jahre 
des vorigen Jhts. in der Garküche eine wirkliche Bet¬ 
stube eingerichtet haben. Denn vorher erfolgten Na¬ 
mensbeilegungen in der Synagoge zu Turnau. Die Gar¬ 
küche diente naturgemäß auch der Geselligkeit. Ein 
christl. Arzt äußerte sich im J. 1824 gelegentlich, er 
habe nachts 40 Leute in der Garküche, die sich dort 
unterhielten, angetroffen. 
Juden in der Wirtschaftsgeschichte Reichenbergs. 
Den Juden ist im Wirtschaftsleben R. eine über¬ 
aus bedeutsame Rolle zugefallen. Sie waren sowohl 
Lieferanten, wie auch Abnehmer. Sie lieferten den 
unentbehrlichen Rohstoff, die Wolle und als Lein¬ 
wand- und Tuchhändler kauften und verbreiteten sie 
die heimischen Erzeugnisse. Zwischen Handwerk, In¬ 
dustrie und Handel waren stets gegenseitige Wechsel¬ 
wirkungen vorhanden. Mit Recht heißt es in einem 
Berichte des Magistrates an die Grundherrschaft vom 
j. 1799: „Die schon allzuweit gekommenen Verhält¬ 
nisse und Verbindlichkeiten, die das wechselseitige 
interesse zwischen anher Handel und Juden und zwi¬ 
schen hiesigen Tuchmachern und Strumpfwirkern sind 
eng verkettet10).44 
Die Handelsbeziehungen auswärtiger Juden zu R. 
datieren nachweisbar schon vom Anfang des 17. Jhts. 
1607 standen Juden in Böhm. Aicha in Verbindung 
mit Adam Demut, der hier einen schwungvollen Fern¬ 
handel betrieb, ferner mit Martin Jentsch, Simon 
Fiebiger, Adam Hübner, Caspar Neumann, Christoff 
Bucheid, Georg Herrmann in Harzdorf, Jacob Pöck- 
scher und anderen Bürgern. Die Aichaer Juden liefer¬ 
ten ihnen Honig, Korn und Leder. Für ihr Guthaben 
stellten die Schuldner Bürgen und mitunter setzten 
sie auch „Haus und Hof zum Unterpfand" ein. Im 
Jo 1634 mußte die Stadt R. zur Bezahlung der Viscon- 
tischen Einquartierung u. a. auch beim Juden Hille 
eine Anleihe von 90 R. Th. machen. Im J. 1648 wird 
von einem R. Boten ein Schreiben vom Schloß 
Friedland an die Judenältesten im Jungen Bunzel be¬ 
fördert. Auch dies ist wohl ein Beweis für bestandene 
Handelsbeziehungen. Ende September 1649 wurde ein 
Bote mit einem Schreiben von Stadt und Land wegen 
Lieferung von Hafer, Heu und Stroh nach Bunzlau 
zu dem Juden Jsaak nach Münchengrätz geschickt. 
Da er diesem bei Aicha begegnete, kam er wieder 
zurück, aber alsbald wird er wieder nach München¬ 
grätz geschickt, damit Jsaaks Weib Hafer, Heu und 
Stroh „hienen44 liefern soll. Im J. 1666 bitten Bür¬ 
germeister und Rat von Jicin den Rat von R., den 
dortigen Juden Salomon und Moyses zu ihren For¬ 
derungen an einen Tuchmacher zu verhelfen. Beide 
haben zwei Stück Tuch und Moyses insbesondere noch 
10 R. Th. zu bekommen. In der Bittschrift an den 
Rat von Jicin heißt es, sie „hätten dien Schuldner 
vielmals ermahnt, daß er uns solches Tuch und Geld 
einhändige, aber bis dato keinen wirklichen Erfolg 
bei ihme erhalten, uns armen verschuldeten 
Juden mit Hilfe beizuspringen44. Von diesen 
zwei Fällen abgesehen, hatten R. B ü r- 
ger nur Warenschulden den Juden zu 
begleichen. 
Juden als Leinwand- und Tuchhändler. 
In R. lag der Schwerpunkt des gewerblichen Lebens 
nicht in der Leinenweberei. Aus diesem Grunde und 
weil die großen Nürnberger Verlagshäuser geradezu 
eine Monopolisierung des Leinwandeinkaufes erreich¬ 
ten, in Nürnberg aber seit 1499 bis 1850 keine Juden 
wohnen durften11), haben sich nur wenige Juden als 
Leinwandhändler betätigt. Diese wohnten hauptsäch¬ 
lich in Jung-Bunzlau. Zwei dortige Juden, Jsaak Elbo- 
gen und Hersehl Launer, die sich übrigens auch mit 
Wollverkauf befaßten, erhoben im Namen der gan¬ 
zen Gemeinde der Jungbunzlauer Judenschaft im J. 
1717 eine Beschwerde beim Gubernium in Prag we¬ 
gen fehlenden Maßes im Leinwandhandel zu R., wo¬ 
durch die jüd. Kunden bei ihrem ausgedehnten Han¬ 
del großen Schaden erlitten. Sämtliche Leinwand¬ 
händler der Stadt wurden aufs Rathaus berufen. Sie 
waren darob verwundert, wie „die jüdischen Queru¬ 
lanten ein höchlöbl. Gouverno beschwersaimb an¬ 
laufen mögen4'. Sie meinten, die Anklage wäre bloß 
fingiert und beschwerten sich nun ihrerseits, daß ihre 
jüd. Kunden noch in ihrer Schuld stehen. Es waren 
freilich nur verhältnismäßig kleine Beträge, mit 
denen nach ihrer Angabe aus den Jahren 1701 bis 
1712 ihnen nachstehende Leinwandhändler in Jungb. 
Testierten: Lasch, Jakob Israel Süsskind, Kaufmann 
Reichenberg 14 
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