Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Seine Schuldigkeit ist, ohne auf Privatverhältnisse und 
Interesse Rücksicht zu nehmen, die gehörigen 
Schranken zu setzen. Der Magistrat hat daher da¬ 
durch, daß er durch so viele Jahre von den notori¬ 
schen Überschreitungen keine Notiz nehmen wollte 
und auch nicht Abhilfe schaffe, seiner Pflicht zuwider¬ 
gehandelt. Da nun weder ich noch jemand anderer 
in der Befugnis stehe, Gesetze zu erläutern, und 
wenn ich auch geneigt wäre, jüd. Familien 
auf meiner Herrschaft R. ansiedeln zu lassen, hierzu 
nicht berechtigt bin, als was andere derogierende Ge¬ 
setze mir ex jure dominicali einräumen, so hat es bei 
meiner diesfälligen Verordnung vom 6. September 
sein unabänderliches Bewenden und ich gestatte kei¬ 
nem, nur nachstehend genannten jüd. Mannesperso¬ 
nen zum besten des Kommerzes und unumgänglichen 
Kredit meiner Untertanen den Aufenthalt von län¬ 
gerer Dauer, ohne jedoch in der Stadt eine Familie 
zu formieren. 1. Den Michael Fürth, seel. Erben, 
2. Simon Lamel, 3. Salomon Przibram, alle drei aus 
Prag, 4. Gebrüder Gutmann aus Polna, 5. Isaac und 
Samuel Schulhof aus Pirnitz, 6. Elias Goldschmidts 
Eidam aus Trebitsch, 7. Tobias Sobotka aus Prag, 
8. Löbl Pauer, 9. Jakob Ronauer, 10. Samuel Ronauer, 
11. Israel Hüttmann, alle drei aus Polna, 12. Isaac 
Polnauer aus Trebitsch, 13. Lewy Herzfelder aus Pir¬ 
nitz, 14. Naphtali Bäsch aus Polna. Sie können ihre 
Handlung entweder selbst oder durch ihre bevoll¬ 
mächtigten Handlungsdiener besorgen. Ich bin nicht 
abgeneigt, daß die Grossisten auch einen halten kön¬ 
nen zu ihrer Bedienung und Bequemlichkeit. Es hat 
aber der Mag. genau darauf zu achten, daß sich we¬ 
der die Handlungsdiener, noch Domestiquen mit Ne¬ 
benhandlungen abgeben. Da ich aber unter der Hand 
vernehme, daß die abgeschafften Juden sich zur 
Nachtzeit auf die nahen Dörfer schleichen und da¬ 
selbst wohnen, erteile ich den Befehl, an Untertanen 
auf das strengste die Aufnehmung derer Juden zu 
verbieten, die erste Betretung mit 3 Tagen Dominikai- 
Arbeit, die zweite mit 3 Reichsthalern zu ahnden. 
Diese Ordnung können nicht dahin erläutert werden, 
daß denen bewilligten jüd. 14 Grossisten dadurch ein 
ausschließender Handel oder Recht zugestanden und 
die Kommertianten im Kauf und Verkauf der Wolle, 
Tücher, Leinwand, Strümpfe beschränkt seye, nein, 
jedem andern jüd. Handelsmann steht frey, Wolle zum 
Ver- und Einkauf undt ein Aufenthalt von drei Ta¬ 
gen, wieder die Stadt zu verlassen oder von mir die 
Erlaubnis zu erhalten, gleich denen übrigen handeln 
zu dürfen.44 Dieses Dekret stellt im Vergleich zum 
ersten eine Verschärfung dar, zumal es nun verboten 
wurde, die Nacht in einem Dorfe, wie das oft geschah, 
zu verbringen. Häufig übernachtete man namentlich 
in den Dörfern, die zur Böhm. Aichaer Herrschaft ge¬ 
hörten, und des Morgens kehrte man als „Neuan¬ 
kömmling44 wieder. Dabei blieb es später auch, zumal 
das Judenverbot nicht durchgeführt wurde. Nach wie 
vor wohnte ein jüd. Ehepaar im Gemeindehause, das 
sogar behauptete, vom Ausweisungsbefehl gar keine 
Kenntnis zu haben. Schon im J. 1800 hielten sich in 
R. 5 aus Prag gebürtige Jünglinge auf, die zur Assen¬ 
tierung sich stellen mußten. Mit Ausnahme eines 
Studenten waren die übrigen in R.-er Geschäften an¬ 
gestellt. Angesichts der wachsenden jüd. Bevölkerung 
holte man zu einem neuen Schlage gegen sie aus. 
Das zweite grimdherrschaftliche Judenverbot 
im Jahre 1810. 
Den Auftakt bildete eine Supplik an die Herrschaft 
vom 26. November 1809, in der die Unterzeichneten 
im Namen aller Großhändler und privil. Tuchfabri¬ 
kanten, aller Spezerei-, Material-, Hand- und Schnitt¬ 
waren-, dann Leinenhändler in erster Reihe gegen die 
Fremden und Ausländer Klage führen. Sie gefährden 
durch ihre unbefugten Betriebe in R. die heimische 
Erzeugung und den heimischen Handel. Dann aber 
werden auch die Juden aufs Korn genommen. „Es 
ist kein Artikel mehr, mit welchem sie nicht Handel 
treiben. Dieser ,Unfug4 nimmt täglich zu und wenn 
ihm nicht mit der größten Schärfe vorgebeugt wird, 
so muß die Nahrung der hiesigen Handelsbefugten 
ganz gehemmt werden.44 Dann wird auf das 1. Juden¬ 
verbot eine Lobhymne angestimmt. „Dieses Dekret ist 
mit der größten Weisheit entworfen.44 Der Mißerfolg 
des ersten Judenverbotes wurmte das Oberamt, be¬ 
sonders dessen Leiter. Nun war kein Halten mehr für 
diesen. Denn die bewegende Kraft der judenfeind¬ 
lichen Aktion war der Oberamtmann Jos. Markow- 
sky. Als ehemaliger Advokat, der Anwalt der Zunft 
und dann als Magistratsrat Zunftinspektor, machte 
er sich die Anschauungen der zünftigen Tuchmacher 
ganz zu eigen. Der Magistrat dagegen war, weil er 
vielleicht in engerer Fühlung mit allen Schichten der 
Bürgerschaft und auch der fremden Negotianten 
stand, weniger befangen und einseitig. Er verkannte 
nicht, daß die Juden ein wichtiges, ja unentbehr¬ 
liches Glied in der wirtschaftlichen Verkettung am 
Reichenberger Platz waren. Daß er entgegen dieser 
besseren Einsicht sich vom Wirtschaftsamt schlie߬ 
lich doch ins Schlepptau nehmen ließ, ist nicht zu 
verwundern. Er war ja nur ein untergeordnetes 
Organ der Grundobrigkeit. Weil aber Marko wsky 
wußte, daß die Durchführung des 1. Judenverbotes 
auch an der Toleranz und Weitherzigkeit des Magi¬ 
strates scheiterte, mußte er sich, falls auch der Mi߬ 
erfolg des zweiten Verbotes, das übrigens nur als 
Fortsetzung, besser gesagt, als Durchsetzung des 
ersten Verbotes geplant war, nicht besiegelt sein 
sollte, erst der Mitwirkung des Magistrates 
versichern. Markowsky wollte sie nicht durch einen 
Machtspruch, sondern durch Überredung erzielen. 
Die Judenpolitik der städt. und gräfl. Behörde hatte 
ja auch Berührungspunkte zur Genüge und die 
erstere hatte trotz mancher Anläufe weder den Wil¬ 
len, noch den Mut, sich für die Juden besonders zu 
exponieren. Das zweite Judenverbot nimmt einen 
dramatischen Verlauf, den wir in allen Punk¬ 
ten verfolgen können. Das Material im städt. Archiv 
wird nämlich durch die Akten im Friedender Schlo߬ 
archiv ergänzt. Reißt auch der Faden, so kann er 
doch wieder aufgenommen werden. Markowsky führt 
den Kampf, wenn auch im Namen des Oberamtes, 
ganz persönlich. Nur ein Dekret ist vom Grafen 
selbst unterzeichnet. Sonst wird der Schriftenwechsel 
von ihm bestritten und gezeichnet. 
Gleich Anfang 1810 bestürmt er den Magistrat: 
„Das Oberamt wird so lange nicht ruhen, bis es nicht 
von der Vollzugssetzung und weiterer Handhabung 
der Verordnung vom J. 1799 volkommen überzeugt 
sein wird.44 Doch will er das, was er im Schilde führt, 
durch Argumente stützen. „Die Juden hätten sich un¬ 
geachtet der landesfürstlichen, für sie so beglücken¬ 
den Absicht den Nahrungen wegen und dem bürger¬ 
lichen Leben der übrigen Stadtuntertanen noch so 
wenig genäherit.44 Als ob dies in so kurzer Zeit und 
unter den obwaltenden Umständen überhaupt mög¬ 
lich gewesen wäre! Ganz im Sinne der Zunft, fügt 
er hinzu. „Die Nichitduldung von Juden wird von der 
untertän. Stadt R., die größtenteils'von Fabrikation 
und von Handel und Wandel lebt, als wahre Wohltat 
anerkannt.44 Da aber Markowsky weiß, daß diese An¬ 
sicht durchaus nicht von der ganzen Bürgerschaft 
535 
Reicherlberg 7
	        
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