Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

der Pachtvertrag im Schlosse zu R. vom damaligen 
Staditschreiber aufgesetzt wurde. Durch eine Bemer¬ 
kung im städtischen Wollwageprotokoll aus dem 
J. 1705 ist wenigstens ein jüdischer Inwohner in R. 
nachweisbar. Die Eintragung lautet: „Daß Jud Nat« 
lann Grottau al hi e r bey Gottfried! Seibt Inn der 
Cammer gehabten Hanff, ist aus Überkommener 
Vollmacht von Juden Vor inn Bey sein Herrn 
Johann Andreas Tugemanns Jungrichters folgende 
Personen, welche Bey Ihmbe Jud Grottau Einige 
schuldt zu fordern hatten, abgewogen worden, als 
Gottfried Seiliten, item Gottfried Hoffmann, dann 
Gottfried Haweln Vom Franzendorf . . Im R.-er 
Stadtbuch findet sich folgende Eintragung: „Anno 
1714, den 13. April. Seindt Bey gehaltener Session 
und Verpachtung der ganzen Gemeinde, auff Rat¬ 
haus alhier zur R., folgende puncta alhier von worth 
zur worth annotiret werden, als: Welcher gesthaten 
wird, daß die Juden in die gè Pachete Cammer, ge¬ 
wölber, oder sonsten in die Häuser wohinn Federn, 
Wolle, Kleider, als dergleichen anfällige Sachen ein 
Quarthiren undt Einlegen, demm solle dass Haus Ver- 
petschirt, Er seine Straffe am gelde, dem arest aber 
Im Stockhause haben. Wer Ein Juden Leinwandt 
oder andere sachen borgen wirdt, der soll doppelt so 
Viel zur Straffe Erlegen, wird auch Keiner Hüffe 
sich zu getröstten haben.66 
Im 3. Jhzt. des 18, Jlits. fing man an, die wach¬ 
sende Zahl der in R. wohnenden Juden, die selbst¬ 
redend noch immer sehr gering war, mit mi߬ 
trauischen Augen zu betrachten und, sie durch vexato- 
rische Maßnahmen einzudämmen. Vorderhand er¬ 
folgte ein allgemeiner Hinweis. In der Magistrats¬ 
sitzung vom 22. Feber 1732 wurde beschlossen: „Auf 
die Juden, welche ausser Jahr und Wochenmarkt 
Zeiten alhier sich aufhalten würden, wachsames Äuge 
zu haben, und durch ganze wochenlang hiesigen Bür¬ 
gern dadurch undt mit ihren privat Handel an ihren 
nahrungen nicht schaden zu sollen.44 Am 16. Oktober 
1732 wurde in die Decanalkirche eingebrochen und 
viele kostbare Kultgegenstände geraubt. Röhn 8) be¬ 
richtet darüber: „Die gottesräuberische Tat wurde 
nach Mutmaßung jüd. Bösewichtern zugeschrieben, 
denen der Reichenberger Förster Benjamin und der 
Leitmeritzer Scharfrichter nachsetzten. Die Räuber 
ließen ihre Pferde auf dem Galgenberg in R. stehen 
und hatten sie dort angebunden.44 Aber auch von 
einer Mutmaßung war keine Spur. Hätte man unter 
den Tätern, die übrigens niemals ausgeforscht wur¬ 
den, Juden vermutet, so wäre in den Steckbriefen, 
die der Rat aussandte und die Dr. Viktor Lug mit ge¬ 
wohnter Akribie veröffentlichte, zumindest ein Hin¬ 
weis oder eine leise Anspielung enthalten gewesen. 
Im J. 1776 mischte sich sogar die Kirche in 
die Sache der Juden hinein und der damalige D e- 
c li ant Karl Topiczowsky erließ eine Kundgebung. Im 
städt. Seissionsprotokoll (Lit. E. E., S. 233, § 3) ist dar¬ 
über folgendes enthalten: „Haben Ihro Hochwürden 
Herr Dechant durch den lobi. Magistrat der ganzen 
Stadtgemeinde R. publizieren lassen, damit sich keine 
Juden in R. über den Schabes oder Samstag und Sonn¬ 
tag aufhalten sollen, in den übrigen Wochentagen 
aber ihren Handel und Wandel alhier pflegen kön¬ 
nen, sofort alle bürger, unter ansonst verfolgender 
Bestraffung gewahrniget worden, die Juden über die 
Verbothenen Täge nicht zu behalten und quartir zu 
geben.'4 Hierzu ist noch die Bemerkung eingeschal¬ 
tet: „Welche Kundmachung hir ad liotam genohmen 
worden.44 Aus Streitschriften zwischen Prager und 
Polnisch-Lissauer Wolljuden, die aus dem J. 1782 
datieren, geht hervor, daß damals Juden in R. wohn¬ 
haft waren. Übrigens belehrt uns hierüber gründlich 
ein Intimât des herrschaftl. Wirtschaftsamtes vom 
24. April 1787. Es lautet: „An den Stadtrath! Da 
hervorkommt, dass die Juden in der Stadt R. sich 
für beständig aufhalten, Quartiere ordentlich mieten 
und somit dem bestehenden Normalgesetz entgegen¬ 
handeln, hierorts aber von Anno Decretorio Juden 
ordentlich zu domiciliren keineswegs gestattet ist. So 
hat der Magistrat diesen Unfug einzustellen und die¬ 
jenigen Häuser zu consign i r e n, in welchen die 
Juden sich dermalen für beständig aufhalten und da¬ 
durch Gelegenheit erhalten, sich einzunisten. Und 
weil auch in dem Gemeindehause die Juden für be¬ 
ständig Quartier in Bestand haben, hierdurch aber 
der Endzweck des öffentlichen Wirtshauses sowohl, 
als daß bequeme Unterkommen fremder Passagiers 
Vereitlet, ja durch die Menge der Juden nur 
die Uneinigkeit Vermehrt wird, der Högung der Ju¬ 
den im Gemeindehause zu steuern ist.44 Dieses ober¬ 
behördliche Ultimat wurde auf dem Rathause jenen 
Bürgern, bei denen Juden wohnten, am 14. Septem¬ 
ber vorgelesen. Es waren dies: Anton Altmann, Paul 
Posselt, Franz Meissner, Jakob Brendl, Josef Sieg- 
mundt, Adam Peukert, Agnes Hübnerin, Paul Röhms 
W'eib, Joseph Pohl, Joseph Müller, Christian Giintzel, 
Karl Hübner, Mechel Güntzl, Gemeindwirth, Karl 
Horn, Josef Gahler und Josef Altmann. Also 16 
Quartiere waren von Juden besetzt. Und da hieß es 
schon gleich: „Welch eine Menge!" Die Namen der 
jüdischen Mieter sind nicht bekannt. Ein Leutnant 
aus Jungbunzlau war bestimmt, die Juden für Militär¬ 
zwecke zusammen zu schreiben. Er teilt dem Magi¬ 
strat vom 3. August 1793 mit: „Bey meiner Ankunft 
werde ich die vorfindigen Juden gleich vornehmen, 
damit sie in ihren Handlungsgeschäften nicht ge¬ 
hindert werden.4' Damals wohnten etwa 21 Personen 
jüd,. Glaubens in R. Laut städt. Gerichts-Protokoll 
vom 12. April 1799 erfolgt eine neuerliche Kon¬ 
signation. Sie wurde wie folgt begründet: „Welches 
wegen der hier befindlichen Handelsjuden, da der 
Zugang von Juden nach R. immer häufiger und ihre 
Geschäfte nach und nach verwickelter werden, unter 
heutigen auf genohmen worden.44 1. Jakob Rohnauer 
aus Polna. 2. Israel Widmann aus Polna. 3. Fried¬ 
mann Hitler, als Bedienter des Widmann. 4. Elias 
Löwenthal aus Polna. 5. Markus Reismann als sein 
Bedienter. 6. Samuel Rohnauer als Polna. 7. Leopold 
Strenitz aus Jungbunzlau. 8. Herzfelder aus Pirnitz. 
Fürwahr, eine kleine Liste! 
Der Magistrat ließ die Juden unbehelligt. Ja unter 
den beiden Bürgermeistern Joseph Neuhäuser und 
besonders Johann Friedrich Tren k 1er erfreuten 
sie sich eines gewissen Wohlwollens seitens der städt. 
Behörden. Bürgermeister Trenkler wird daher in 
einer Pasquille „Judenknecht44 genannt. Im Sommer 
1782 bitten die Juden aus Böhm. Leipa und Böhm. 
Aicha das Bürgermeisteramt, der Maria-Geburts- 
markttag möchte 8 Tage früher abgehalten werden, 
weil den 9. und 10. September die Juden gerade ihre 
Feiertage haben. Sie bieten auch der Gemeindekassa 
zwei Dukaten als Geschenk an. Im Stadtbuch heißt 
es nun: „Da dieses nun nicht schadet, sondern nütze, 
so wird der Jahrmarkt für diehses Mal auf den 2. Sep¬ 
tember a. c. ausgerufen66 Der Magistrat war nicht 
immer so gemütlich. Als die Böhm. Leipaer Juden 
im J. 1809 mit einem ähnlichen Verlangen kamen, 
wurden sie glatt abgewiesen. Freilich fehlten diesmal 
die Dukaten, die dem Ersuchen Nachdruck verliehen 
hätten. Damals regte sich in der hiesigen Ratsstube 
ein leiser oppositioneller Zug gegen das Obrigkeits¬ 
amt. Der geistige Lenker dieser selbständigen Re¬ 
533 
Reichenberg 5
	        
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