Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

clem großen Brande von Grund auf neu errichtet 
werden mußte. 
Von den anderen Gemeindemitgliedern ist noch 
Heinrich Gans zu nennen, der sich durch einen ho¬ 
hen Grad des Wissens auf allen Gebieten des jüdi¬ 
schen Wissens auszeichnet und so dien Ruf eines wahr¬ 
haften geistigen Führers der Gemeinde besitzt. In 
den schweren Kriegsjahren hat er sich als K. V. 
große Verdienste um die Gemeinde erworben, be¬ 
sonders warm nahm er sich der galizianischen und 
der russischen Flüchtlinge fürsorglich an. 
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Dr. Moritz Gans 
Mit berechtigtem Stolz nennt die N. J. G. 
den Namen ihres Besten: der Universitätsprofessor 
MtJDr. Edmund Weil (dessen Bruder Philipp 
Weil ist derzeit Kassier der Gemeinde) wurde am 
16. April 1879 in N. geboren. Er wirkte zuletzt als 
Vorstand des serologischen Institutes an der deut¬ 
schen Universität zu Prag und erlag einer Fleck¬ 
typhusinfektion am 15. Juni 1922, die er sich in 
Lemberg bei Versuchen durch einen unglücklichen 
Zufall zugezogen hatte. 
Noch kurz vor seinem Tode wurden aussichts¬ 
reiche Verhandlungen gepflogen, die seine Berufung 
zur Leitung der hygienischen Abteilung an der Uni¬ 
versität Jerusalems zum Ziele hatten. Obwohl erst 
42 Jahre alt, starb Weil als Forscher von Weltruf, 
dessen wissenschaftliche Arbeiten ihm einen dauern¬ 
den Ehrenplatz in den Annalen der Bakteriologie 
und der Immunitätslehre sichern. 
Als Mensch war Dr. Weil eine markante Persön¬ 
lichkeit, ein vornehmer Charakter, ein fanatischer 
Wahrheitsfreund, zurückhaltend im privaten Ver¬ 
kehr. Unermüdlich in der Arbeit, gönnte er sich nur 
in wenigen Jahren einige Rasttage, die er in seiner 
Heimat verbrachte. An ihr und seinen Angehörigen 
hing er in treuer Liebe und das lautere Gemüt des 
ernsten, verschlossenen Mannes zeigte sich in voller 
Klarheit, wenn er voll Verehrung von den Jugend¬ 
jahren im Elternhause sprach. 
Einige wertvolle Abschriften von Dokumenten, 
welche die Judengemeinde von N. betreffen, befin¬ 
den sich auf den Vorblättern eines großen, gut er¬ 
haltenen Buches, welches die Aufschrift „Hauptbuch, 
Abgabs- und Billigungs-Buch der Israelitengemeinde 
Neustadtl66 trägt. Hier ist die Abschrift des Gemein¬ 
destatutes vom 20. Feber 1808. Der Gemeindever¬ 
trag mit der Herrschaft und der Ortsvorsteherschaft 
vom 9. Mai 1819, „verfaßt vom Judenrichter und 
den Deputierten der Judengemeinde46. Das älteste, 
der jüdischen Gemeinde N. nach dem Brande erhal¬ 
tene „S i t z u n g s p r o t o k o 1 1" ist beim Kt V. 
Alfred Lang in Aufbewahrung und zeigt an unzäh¬ 
ligen Stellen von der großen Liebe und inniger Zu¬ 
sammengehörigkeit der Gemeindemitglieder. Nirgends 
findet sich auch nur eine Spur von Zwistigkeiten und 
Streit. Die sehr häufigen Fälle der Rekurse und Kul¬ 
tussteuerrückstände werden in freundschaftlicher 
Form erledigt. Gleich das älteste Sitzungsprotokoll 
vom 1. April 1877, das erste nach dem großen Bran¬ 
de, besagt, daß „dem Herrn Moritz Strauss die 
bis heute stattgehabten schuldigen 3 fl. für Cultus- 
steuer nachzusehen und als bezahlt anzusehen sind". 
Ferner wurde beschlossen, daß jedes Kultusmitglied 
ohne dien einzelnen Spenden noch besonders 1 fl. in 
die Zedokokassa jährlich zu zahlen hat. Jakob Gans. 
S. Neubauer, Moritz Fischer, David Holzer, Simon 
Weil, J. Weiss, Moses Lang, Simon Österreicher, Isak 
Grünhut, Jakob Klein, Isak Holzer, Moritz Strauss, 
Samuel Lang, Samuel Weisz. 
Am 20. Mai 1877^ resignierte Samuel Weisz als 
Vorsteher der Ch. K. Die Wahl fiel auf Moses F i- 
scher als Vorsteher und Jakob Weisz als S tv. 
Mit welch geringen Mitteln und Aufwand diese Ge¬ 
meinde verwaltet wurde, bezeugt der Kultus¬ 
steuer-Umlage-Vorschlag für das Jahr 
3 882: Für Cantor Philipp Böhm 310 fl., für Ge- 
meindiediener Österreicher 35 fl., für Uhr und Was¬ 
sergeld 6 fl., für Joh. Lindner, Frauenbad, 5 fl., für 
Äquivalentgebühr 2 fl., für div. Auslagen 12 fl.; zu¬ 
sammen 370 fl. 
Am 21. August 1882 wurde eine „Gedenkmcinner- 
Versammlungwegen der Verteilung der Tempel¬ 
sitze einberufen, in welcher die Lage der al¬ 
ten Tempelsitze (im eingeäscherten Tempel) fixiert 
und die Verteilung der Sitze in der neuerbauten Sy¬ 
nagoge vorgenommen wurde. Ein Beispiel dieser Pro¬ 
tokolle sei hier angeführt: „Jakob Klein erklärt 
sich als Eigenthümer der Männersitze Nr. 10 und 22 
im südlichen Seitenschiff der abgebrannten Syna¬ 
goge und des Frauensitzes Nr. 43 auf der westlichen 
Gallerie und ist einverstanden, Nr. 7 und 22 im glei¬ 
chen Schiffe der neuen Synagoge und Nr. 6 auf der 
nördlichen Gallerie dafür zu erhalten, welche Sitze 
demselben angewiesen wurden. Neustadtl, 21. August 
1882. Jakob Klein, m. p.44 
So folgten die weiteren Protokolle von: David 
Gans, Moritz Gans, Samuel Weiss, Wilh. Gans, Isak 
Zeiner, Samuel Lang, Isak Holzer, Josefa Holzer, 
Resie Kern, Isak Grünhut, Moses Lang, Simon Weil, 
Markus Gans, Johann Österreicher, David Holzer, 
Ig. Fink. 
PERNATITZ bei Neustadtl a. Klinger (Stráz). 
Diese uralte Judengemeinde besteht schon seit län¬ 
ger als zwanzig Jahren nicht mehr. Eine „G e b u r t s-, 
Trauung s-, Sterbematrik der Perna- 
titzer Israeliten44 ist beim K. V. der Neu¬ 
städtler Judengemeinde Alfred Lang in Aufbewah¬ 
rung. Das Buch umfaßt zirka 1 Jhzt., beginnend vom 
J. 1804; bei jeder Eintragung befindet sich der Na¬ 
men der beiden Mohelim: Abraham Eckstein aus 
Chotieschau und Beer Maler aus Neustadtl. Aus 
dem Buche erfahren wir die Namen der jüdischen 
Einwohner und (mitunter) auch deren Beruf und 
Besitz: „Bernard Bloch, Schutzjude und Hausbesitzer, 
Simon Glauber, Inwohner und Schutzjude, David 
Glauber, Hausbesitzer, Nathan Glauber, Handelsjude 
und Hausbesitzer, Jakob Glauber, Handelsjude und 
Hausbesitzer, Michael Weil, Hausbesitzer, Mich. 
Weisz, Hausbesitzer, Judas Weiss, Handelsjude und 
Hausbesitzer, Löwl Doktor, Schullehrer. 
Die Pernatitzer Juden liegen am Neustädtler Fried¬ 
hof. 
* 
1) Tatsächlich finden sich am alten jiid. Friedhofe in Neu¬ 
stadtl mehrere Grabsteine aus den Jahren 1330—1350 in gut 
erhaltenem Zustande vor. Jar. Polák-Rokycana. 
Dr. Edmund Weil 
Stráz 4 
460 
Neustadtl 4
	        
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