Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

1749 schon auf 297 fi. gestiegen (oder hinauf gesteigert 
worden) und sie sagt in ihrem „Dominikal-Bekenntnis'" 
von 1749 von der Neuerner Judenschaft, „daß diese so 
arm sei, daß sie vielmahlen den ganzen Zins mit grö߬ 
ter Gewalt zusammenzubringen nicht vermögen kön¬ 
nen", so daß diese Schutzgelder demnach eine „un¬ 
gewisse RubrikÄS in ihrem Einbekenntnis seien. Die 
Herrschaft verlangte auch eine Befristigung für die 
Abfuhr der königlichen Steuer, da die Juden sonst 
außer Landes müßten. 
Die Neuerner Judengemeinde leistete, wenn auch 
in größter Not, dennooh immer ihre Abgaben. 
Sie hatte aber öfter Ursache, sich gegen Über¬ 
griffe der obrigkeitlichen Beamten zu wehren; so 
im J. 1767, als diese das Schutz- oder Kopf-, auch 
„Koppengeld" genannt, auch von solchen alten Vätern 
einforderten, die ihre Wirtschaft bereits an selbst 
zwei Söhne übergeben hatten. Auf die erste Vorstel¬ 
lung hin blieb der Bistritzer Graf Palm-Gundelfingen, 
der in Regensburg seinen Wohnsitz hatte, dabei, daß 
jeder solche alte Hausvater das Koppengeld weiter zu 
zahlen habe. Erst auf eine neue Bitte bewilligte der 
Graf in Gnaden, daß „wenn ein alt abgelebter jüdi¬ 
scher Vater seinem Sohne sein Haus übergibt und von 
dem Seinigen lebt oder vom Sohne ernährt wird und 
dabei keine Handelschaft treibtvon dem persönli¬ 
chen Schutzgelde befreit sein solle. 
Zwei Jahre später gab es Anstände mit dem 
Fleischkreuzerpächter. Die gesamte Juden¬ 
schaft der Herrschaft Bistritz wandte sich mit bitte¬ 
ren Klagen gegen dessen Plackereien. Sie bat den 
Grafen, er möge den Fleischkreuzer wieder wie früher 
durch seine Beamten einheben lassen. Der Graf ging 
nicht drauf ein; er ließ aber die Bittsteller versichern, 
daß er sie gegen die „besagten Zudringlichkeiten des 
jetzigen gehässigen Pächters" durch Abschluß eines 
neuen „billigen" Pachtvertrages schützen lassen wolle. 
Im selben J. beschwerte sich der Kürschner Mathes 
Schmelzbach in N. gegen einen Neuerner Juden, der 
ihm angeblich ins Handwerk pfusche und er bat, 
es möge diesem die Kürschnerei verboten werden. Die 
Obrigkeit aber erwiederte dem Meister: „Der Jude 
treibt nur Handelschaft; wenn der Beschwerdeführer 
guten Vorrat haben und wohl arbeiten wird, kann es 
ihm im Verkauf keineswegs fehlen 
In den üblen Hungerjahren von 1771 und 1772 
war auch die Neuerner Judenschaft wirtschaftlich 
schlecht daran und mehrere ihrer Mitglieder fielen 
wegen ihrer Rückstände an Schutzgeldern in Schul¬ 
denarrest. Da suchte Moyses Abraham, der Juden¬ 
richter von N., beim Grafen um Nachsicht an und bat 
ihn, die Neuerner Juden in Anbetracht der harten 
Zeiten aus dem Arreste zu entlassen. Es wären ihnen 
„leidentliche Termine" zu machen und den Juden 
Elias und Isak Hahn wäre das ihnen aufgeschlagene 
Schutzgeld von 6 fl. in Gnaden nachzusehen. Das 
hatte den Erfolg, daß die Schuldner sogleich aus dem 
Arrest entlassen und ihnen Fristen bewilligt wurden. 
Doch wurde dem Judenrichter bei eigener Haftung 
aufgetragen, die Schuldner zur Zahlung anzuhalten. 
Auch die Schutzgelder der Brüder Hahn wurden wie¬ 
der auf den alten Betrag herabgesetzt. Trotzdem konn¬ 
ten die armen Leute, von der allgemeinen Not schwer 
betroffen, wieder nicht zahlen, es drohte fast der ge¬ 
samten Neuerner Judenschaft der Schuldarrest. Da 
baten sie in herzzerreißendem Tone, es möchten ihnen 
„in Anbetracht der mühseligen Zeit weitsichtigere 
Termine ausgemacht werden". Graf Palm, der zu je¬ 
ner Zeit gerade in Bistritz weilte, ließ sich rühren und 
gab der Neuerner Judenschaft am 14. November 1772 
den Trost: „Es wird bedauert, daß sie sich wie alle 
andern Landesinwohner bei dermaligen schweren 
Zeiten hart ernähren; es wird untersucht werden*5). 
Weil der Hausbesitz die ruhigste Grundlage 
für die Sicherung des Aufenthaltes im Orte und für 
die Zukunft der Unternehmung und der ganzen Fa¬ 
milie war, und weil dieser Besitz nicht für Geld — 
etwa durch den Ankauf bürgerlicher Häuser und 
Grundstücke — vermehrt werden konnte, hüteten 
ihn seine Inhaber aufs sorgfältigste. Ein solches 
kleines, enges Judenhaus im abgelegenen Winkel 
oder in einer schmutzigen Gasse (wie in Tachau) 
stand unter den Juden viel höher im Preis als ein 
schöner Bauernhof mit 50 Joch Grund. Man bedenke 
nur die hohen jährlichen Schutzgelder, die in N. ge¬ 
zahlt wurden! Für 15 Gulden bekam man um 1700 
drei schöne Kühe. Um auf jeden Fall das Haus sicher¬ 
zustellen, — auch gegen geschäftliche Verluste —, 
bürgerte sich der Brauch ein, daß die Juden ihren 
Frauen hohe Beträge unter dem Titel der Morgen¬ 
gabe auf die Häuser verschrieben und diese Beträge 
auch grundbücherlich einverleiben ließen. Als Bei¬ 
spiel erwähne ich hier zwei solche Verträge, die beide 
am 16. Oktober 1766 in N. geschlossen worden waren. 
Da verheiratete Schmulla Abraham seiner Frau Esterl 
einen Betrag von 400 Schock Groschen oder 450 fl. 
rheinischer Währung als Morgengabe. Die Frau ver¬ 
wahrte sich dem entgegen wider jede Haftung für 
etwaige Verpflichtungen ihres Mannes. Denselben 
Betrag und die nämliche Bedingung finden wir im 
Vertrage zwischen Naton Schmulla und seiner Frau 
Heugüttl, Tochter des Hayumb Johl von Oberneuern. 
Schon lange vor der Erlassung des für die Rechts¬ 
verhältnisse der Juden in der ersten Hälfte des vori¬ 
gen Jhts. grundlegenden Judensystemalpatentes vom 
3. August 1797 war die Anzahl der Schutzjuden, die 
eine Obrigkeit auf ihren Gütern haben durfte, vom 
Staate eingeschränkt worden, zuletzt durch ein Patent 
vom 1. März 1788. Es wurde da für die einzelnen 
Herrschaften eine gewisse Höchstzahl bestimmt, die 
nicht überschritten werden durfte und es wurde auch 
von den Juden selbst auf die Einhaltung dieses Nume¬ 
rus clausus gesehen, vor allem aus Geschäftseifer. In 
N. ereignete sich im J. 1781 der Fall, daß gleich zwei 
Geschäftsleute von der beschränkten Zahl abgestri¬ 
chen werden konnten, als David Hann im Dorfe 
Lautschim (auf dem Gute Wihorschau) ein Häuschen 
erwarb und dessen Bruder Simon Hann das Brannt¬ 
wein- und das Flußhaus zu Miletitz in Pacht nahm, 
so daß nun beide in fremdem Schutz standen. Über 
Einschreiten der Neuerner J. G. verfügte das Amt 
Bistritz, die beiden Brüder Hann hätten binnen drei 
Tagen nicht nur N., sondern auch das ganze Bistritzer 
Herrschaftsgebiet zu räumen, widrigens Zwangmittel 
angewendet würden. So wurde, wie die Obrigkeit in 
ihren Ausweisungsgründen sagte,, „der Nahnmgstrieb 
der übrigen Schutzjuden nicht geschwächt'***). 
Das kaiserliche Judensystemalpatent vom 3. Au¬ 
gust 1797 brachte endlich die Zahl der Judenfamilien 
auf den einzelnen Herrsch alten und im ganzen Lande 
Böhmen in feste Ordnung. Es wurde da. bestimmt, wie 
viele jüdische Männer sich verehelichen und eine 
Familie gründen durften, wenn sie nicht einem be¬ 
stimmten Gewerbe oblagen oder einem bestimmten 
Stande angehörten. Die Staatsverwaltung verfolgte 
dabei die wohlmeinende Absicht, die Juden von 
ihrem „lediglich demi Handel gewidmeten, jede 
schwerere Arbeit fliehenden unstäten Leben abzu¬ 
lenkenDarum erlaubte sie außerhalb der festge¬ 
setzten Familienzahl nur solchen Juden das Heiraten, 
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Neuern 16
	        
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