Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

danken Stadt und Bezirk Aussig eine Reihe muster¬ 
gültiger Einrichtungen, die beispielgebend gewirkt 
haben. So ist das Aussiger Asylhaus seine Gründung, 
das Waisenhaus erfreute sich ständig seiner Förde¬ 
rung; das städtische Wöchnerinnenheim ist ausschlie߬ 
lich ihm und seiner Gattin Luise Weinmann zu dan- 
Ed. J. JVeinmann 
ken; die ersten Knabenhorte hat er errichtet und die 
Blindenschule hat er durch reichliche Zuwendungen 
gefördert. Für die Lesehalle und Bücherei hat er aus 
eigenen Mitteln ein Prachtgebäude mit Vortrags- und 
Lehrsälen errichtet und schließlich erbaute er in 
Spiegelsberg eine Lungenheilanstalt, die modernst 
eingerichtet ist, einen Belegraum für 130 Kranke auf¬ 
weist und für das ganze Land segensreich wirkt. 
Welche Bedeutung Jakob Weinmann für A. und die 
nordwestböhmische Industrie überhaupt, ja sogar 
über die Grenzen des Landes hinaus hatte, kam bei 
dem großartigen Leichenbegängnisse zum Ausdruck, 
das am 8. Oktober nachmittags 3 Uhr vom Trauer¬ 
hause in der Baumgartenstraße aus zum Aussiger 
Friedhofe ging. Es würde zu weit führen, alle Gro߬ 
unternehmen und Geldanstalten wie auch die Ver¬ 
treter aller maßgebenden Kreise aus Stadt, Bezirk 
und weiter Ferne namhaft zu machen, die dem Da¬ 
hingeschiedenen das letzte Geleite gaben. Der Leichen¬ 
zug führte an der Lesehalle und Volksbücherei, der 
Schöpfung Jakob Weinmanns, wie auch an dem Asyl- 
und Waisenhause vorüber. Beim Grabe hielt Rabbiner 
Dr. J. Stößler eine gehaltvolle Grabrede, in der er 
den Fleiß, die Bescheidenheit, Tüchtigkeit, Nächsten¬ 
liebe und Stammestreue des Verstorbenen pries. Nach 
ihm sprachen Moritz Glauber als Vertreter der K. G. 
und der israelitischen Vereine, Bürgermeister Dr. Karl 
S c h ö p p e für die Stadtgemeinde, Fabrikant Ferd. 
M a r e s c h für das Kuratorium der Weinmannstif¬ 
tung Spiegelsberg, Direktor Josef Martin für die 
Lesehalle und Volksbücherei, Schuldirektor Ed. 
Wagner für das Asyl- und Weisenhaus und schlie߬ 
lich Direktor Karl R a u t e r für die Blindenschule 
Worte des Dankes an den Verstorbenen, der nicht 
bloß in den großartigen Anstalten, die seinen Namen 
tragen, sondern in den Herzen aller weiterleben wird, 
die durch seine menschenfreundlichen Werke Wohl¬ 
taten empfangen haben. 
Die Firma Ed. J. Weinmann spendete zur Ehrung 
des Andenkens ihres Gründers im Sinne der Absich¬ 
ten des Verblichenen für Aussiger kulturelle und 
Wohlfahrtseinrichtungen den Betrag von einer Mil¬ 
lion Kronen. (Aus: Beiträge zur Heimatkunde des 
Aussig-Karbitzer Bezirkes 1928. III. Heft, S. 124—127 
von Dr. F. J. Umlauft.) 
Ignatz Petschek, geb. am 14. Juni 1857 in Kolin, 
besuchte nach der Volksschule das Kleinseitner Gym¬ 
nasium in Prag und trat im J. 1874 als Lehrling in 
den Prager Bankverein ein. Schon im gleichen Jahr 
wurde er von der genannten Bank als Vertrauens¬ 
mann in die Launer Zuckerfabrik entsandt. Nach Li¬ 
quidierung der Fabrik wurde er im nächsten Jahr, 
als Achtzehnjähriger, in das Aussiger Kohlenkontor 
des Prager Bankvereines nach A. versetzt, dessen 
Leiter damals Jakob Weinmann war. Als dieser 
aus dem Zusammenbruch des Prager Bankvereines 
die Kohlenabteilung übernahm und die Firma Ed. 
I. Weinmann gründete, blieb Ignaz Petschek in seinen 
Diensten. Im J. 1880 machte er sich in A. unter der 
Firma I. Petschek als Kommissionär verschiedener 
Braunkohlenwerke selbständig und hat durch seinen 
Weitblick, seine Großzügigkeit, seine schöpferischen 
kaufmännischen Eigenschaften seine Firma zu ihrer 
Bedeutung geführt. Er hat einen hervorragenden An¬ 
teil an der Entwicklung der mitteleuropäischen Koh¬ 
lenindustrie, insbesondere des Braunkohlenbergbaues. 
Ignaz Petschek, eine der bekanntesten Erscheinun¬ 
gen der europäischen Großindustrie, ist persönlich 
einfach, von charmanter Liebenswürdigkeit, tempera¬ 
mentvoll und geistreich. Er ist aber auch ein Wohl- 
Ignaz Petschek 
täter, dem die Stadt A. einen großen Teil ihrer Wohl¬ 
fahrtseinrichtungen verdankt, er ist ein hilfsbereiter 
Jude, der die Aussiger K. G. und alle humanitären 
jüdischen Vereine in der großherzigsten Weise unter¬ 
stützt. 
* 
Ernst Neuschul, geb. 17. Mai 1895 in A., be¬ 
kannter akad. Maler in Berlin. 
* 
A. gehört zu den aufstrebenden K. G. Böhmens. Im 
Zentrum des Kohlenhandels und der damit verbun¬ 
denen Industrien gelegen, bietet es zahlreiche Er¬ 
werbs- und Berufsmöglichkeiten. Die Mitgliederzahl 
hat sich beispielsweise in dem Jahrzehnt vor dem 
Kriege genau verdoppelt. Der Krieg mit seinen Fol¬ 
gen hat sich wohl etwas hemmend ausgewirkt, das 
Wachstum der Gemeinde geht vorläufig nicht so 
schnell vor sich wie früher, doch ist ihre Zukunft ge¬ 
sichert. Die Gemeinde zählt gegenwärtig über 360 
Familien und wird bei vollständiger Normalisierung 
der Verhältnisse noch viel mehr Familien Existenz¬ 
möglichkeiten bieten. 
* 
) Die Angabe 1897, Encyclopaedica Judaica, Band III., Kol. 
735, von Dr. S. H. Lieben ist nicht richtig. 
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