Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

bezirk 3 jüdische Familien gewohnt, offenbar die 
3 genannten. 
Nach dem J. 1848, als die Juden die allgemeine 
Freizügigkeit erlangten, stieg die Zahl der Juden in N. 
nach und nach. Doch betrug sie auch im J. 1869 erst 
25, bei der Volkszählung des J. 1910 waren es SO, 
am Beginn des J. 1924 49, bei der Volkszählung 1921 
37, 1932 aber beläuft sie sich auf 62 Seelen, dem 
Berufe nach zumeist Kaufleute, dann Advokaten und 
Ärzte. Außerdem wurden 1921 in Frühbuß 1, in 
Abertham 5 (hier gehört Stadtarzt Dr. Hugo Baum 
der Gemeinde an), in Breitenbach 1 und in Bärrin¬ 
gen 5 Juden gezählt, im ganzen politischen Bezirk IN. 
(mit G.-B. Platten) 49. In Abertham ist die Fabrik 
von Seligmann, in Bärringen die Handschuhfabrik 
von Neuburger & Straßburg jüdischer Besitz. 
Das Bestreben der Neudeker Gemeiiidemitglieder 
war, angesichts der weiten Entfernung von L., be¬ 
greiflicherweise frühzeitig darauf gerichtet, einen 
eigenen Betsaal zur Abhaltung ihres Gottesdienstes 
zu erlangen. Auf ihre Bitte stellte ihnen der Besitzer 
der Herrschaft N., ihr Glaubensgenosse Moritz 
Freiherr v. Königswarter, der langjährige 
Obmann der Alliance Israelite, einen geeigneten Raum, 
den er zu diesem Zwecke gemietet hatte, im Hause 
Nr. 235 unentgeltlich zur Verfügung. Königswarter 
war Besitzer eines der bedeutendsten Bankhäuser in 
Wien, welches sein Vater 
Jonas Königswarter 
begründet hatte. 
Er selbst war einer der reichsten Männer des Staates ge¬ 
worden, dabei ein Menschenfreund und Wohltäter großen Stils 
und auch politisch als Angehöriger der deutschliberalen Partei 
tätig. Er war viele Jahre lang Abgeordneter des I. Wiener 
Stadtbezirks, der Inneren Stadt, im niederösterreichischen 
Landtage und wurde später in Anerkennung seiner hervor¬ 
ragenden Verdienste um die Allgemeinheit und auch um den 
Staat, dem er wiederholt bei Anleihen in schwierigen Lagen 
helfend beigesprungen war, und gewissermaßen als Vertreter 
der mosaischen Religion als lebenslängliches Mitglied vom 
Kaiser ins Herrenhaus des österreichischen Reichsrates be¬ 
rufen, die größte Ehrung, die man im Kaiserstaate erreichen 
konnte. In beiden Körperschaften bewährte er sich als frei¬ 
sinniger, aufrechter Mann, der besonders in wirtschaftlichen 
Fragen eifrig und mit Erfolg mitarbeitete und dessen Wort 
dabei von Gewicht war und gern gehört wurde. Er war am 16. 
Juli 1837 in Wien geboren, vermählte sich am 28. Oktober 1860 
mit der am 2. Dezember 1841 geborenen Charlotte Edlen 
v. Wertheimstein und starb am 14. November 1893 in Wien. 
Er erlangte schon früh mehrere kaiserliche Auszeichnungen 
und wurde am 25. März 1860 in den Ritter- und am 26. Oktober 
1870 in den Freiherrnstand erhoben. Er war sehr kunstsinnig 
und hatte in seinem fürstlich eingerichteten großen Haus in 
Wien, I., Kärntnerring 4, eine große Gemäldegalerie mit außer¬ 
ordentlich wertvollen Bildern gesammelt. Die Überschüsse 
seines namhaften Einkommens verwendete er, soweit sie nicht 
zu Wohltätigkeitsakten aller Art oder zur Unterstützung der 
Kunst und Wissenschaft bestimmt waren, zum Ankauf von 
Gütern. So gelangte er in den Besitz von Schebetau in Mähren, 
Nieder-Kreuzstetten in Niederösterreich, Csabacsüd und Cseh- 
telek in Ungarn und kaufte am 30. September 1881 auch die 
Herrschaft Neudek mit Tüppelsgrün und dem Gut Ober-Chodau 
für 2,250.000 fl. von der bisherigen Besitzerin Gräfin Anna 
von der Asseburg. 
In N. ließ er das Schloß 1889 umbauen, so daß es sein heu¬ 
tiges geschmackvolles Aussehen erlangte: die von Zinnen ge¬ 
krönten Ecktürmchen wurden mit Kuppeldächern überwölbt, 
das Portal mit einem Balkon wurde neu errichtet, die ganze 
Fassade renaissanceartig abgeändert und ein neues Dach auf¬ 
gesetzt. Königswarter hinterließ vier Kinder: Heinrich Maxi¬ 
milian, geb. am 22. August 1861, gest. am 17. Mai 1931, ver¬ 
mählt mit der 1869 in Berlin geborenen Schauspielerin Marga¬ 
rete Formes, Hermann, geb. am 4. Feber 1864 und gest. am 
21. September 1915, in erster Ehe vermählt mit Melanie von 
Blaskovich, von der er sich 1887 wieder scheiden ließ, das 
zweitemal 1904 mit Adolfine Sosna, welche ihn überlebte und 
in zweiter Ehe die Gattin des Grafen Anton Apponyi wurde, 
Wilhelm, geb. am 21. Oktober 1866, gest. am 1. März 1927, 
mit Rosa Henriette Goldschmidt aus London verheiratet, und 
Josefine Franziska, geb. am 21. Dezember 1870 und seit 1893 
mit Maximilian Paul Schiff in Wien vermählt. Da Baron 
Moritz mit der Heirat seines ältesten Sohnes mit einer Schau¬ 
spielerin nicht einverstanden war, wurde dieser mit einem Teil 
des Vermögens abgefunden und der zweite Sohn Hermann 
Erbe der Güter und Titel. Durch die Teilung unter 4 Kinder 
und durch große Verluste des Hauses während der Kriegszeit 
und nach dem Umstürze ging viel von dem ehemals so großen 
Königswarterschen Vermögen verloren und so kam es, daß die 
Familie zwar noch heute sehr wohlhabend, aber keineswegs 
mehr so märchenhaft reich genannt werden kann, wie sie früher 
war. 
Der neue Besitzer von N. Hermann Freiherr 
v. Königswarter war bereits 1888 zum katholischen 
Glauben übergetreten. Er mußte nach und nach Teile des 
Gutes verkaufen: 1899 ging das herrschaftliche Walzwerk an 
die Firma G. T. Petzold in Wien über, wurde dadurch später 
mit dem Nostitzschen Eisenwerk in Rothau und zuletzt, in eine 
Aktiengesellschaft verwandelt, mit der Karlshütte in Schlesien 
vereinigt, was endlich zur wesentlichen Betriebseinschränkung 
in Neudek und Rothau, ja zum Stillstand der dortigen Werke 
führte; dadurch wurden natürlich Neudek und besonders seine 
Geschäftsleute ungemein geschädigt. Im Jahre 1908 war Tüp¬ 
pelsgrün für 1 Million fl. an Anton Weber in Fischern, im sel¬ 
ben Jahre Ober-Chodau für 319.000 fl. an G. Linnarts und 
Neudek für 4,805.000 fl. an den böhmischen Religionsfonds 
und zuletzt das noch vorbehaltene Schloßgebäude in N. mit 
20.000 m2 Grund für 270.000 fl. an die Norddeutsche Woll¬ 
kämmerei und Kammgarnspinnerei verkauft worden. 
Als nach Baron Moritz Königswarters Tode der 
Mietzins für das Betlokal in N. nicht mehr bezahlt 
wurde, stellte Leopold Schulz in entgegenkom¬ 
mendster Weise einen anderen Raum dafür in seinem 
Hause Nr. 237 als Betstube zur Verfügung und auch 
nach seinem am 5. März 1917 erfolgten Tode beließ 
seine Witwe Frau Paula Schulz der Gemeinde das 
Zimmer beinahe unentgeltlich, so lange es ihr mög¬ 
lich war, bis 1931. Der guten, wahrhaft frommen 
Frau (gest. 1933) gebührt für ihre Handlungsweise der 
herzlichste Dank. Ihr Gatte war verdientermaßen 1903 
K. V. der K. G. (Lichtenstadt) geworden und beklei¬ 
dete dieses Ehrenamt 6 Jahre lang. Er leitete es ge¬ 
wissenhaft und! in uneigennütziger und aufopfernder 
Weise, ihm verdankt die K. G. den heutigen festen 
Zusammenhalt aller Mitglieder. Er erfreute sich bei 
Lebzeiten allgemeiner Beliebtheit, nach seinem Tod 
wird ihm ein ehrendes Gedenken stets gewahrt bleiben. 
Zu seinen großen Verdiensten gehört auch die Er¬ 
werbung eines eigenen Begräbnisplatzes. Bis 1914 
mußten die Neudeker Israeliten ihre Verstorbenen 
auf dem Friedhofe in L. beisetzen lassen. In diesem 
Jahre aber erwarb Schulz für sie und die Kultus¬ 
glieder der Umgebung auf dem neuen, 1901 eröffne¬ 
ten Kommunalfriedhof in N. eine besondere abge¬ 
friedete Abteilung. Der dazu nötige Betrag wurde 
durch freiwillige Spenden aufgebracht, worunter jene 
des Barons Hermann Königswarter von 20.000 fl. die 
namhafteste war. Aber auch die anderen Mitbürger 
taten ihr Möglichstes, wie sich denn überhaupt die 
Neudeker Juden stets durch ihren Wohltätigkeitssinn 
auszeichneten. 
Unter den Förderern der jüdischen Einrichtungen 
in N. ist der gegenwärtige V. Stv. der K. G. Siegmund 
Brückner zu nennen, der trotz vieler privater 
Arbeiten noch Muße und Zeit findet, alle gemein¬ 
nützigen Bestrebungen der Stadt, nicht nur die be¬ 
sonderen jüdischen, tatkräftigst zu unterstützen. Auch 
der schon verstorbene Richard L ö w y und dessen 
Gattin Mathilde L ö w y, geb. Weil, müssen in dieser 
Hinsicht rühmend genannt werden und ebenso ist des 
gleichfalls schon dahingegangenen Advokaten Dr. 
Anton Graf zu gedenken, der sich in hervorragen¬ 
der Weise in den Dienst der allgemeinen Öffentlich¬ 
keit stellte und dem es namentlich zu verdanken ist, 
daß die lange Jahre vergeblich angestrebte Bahnver¬ 
bindung von N. mit den Hauptstrecken durch die Er¬ 
Lichtenstadt 4
	        
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