Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

ihn mit einem Christen und vorzüglich mit einem um 
den Staat wohlverdienten Manne besetzen. 
Im J. 1775 ließ hier in K. der Eidlitzer Schutzjude 
Nathan David seine geldlichen Ansprüche an zwei 
Kaadner Bürger durch seinen Rechtsfreund vor Ge¬ 
richt vertreten. 
Am 10. Mai 1792 vermählte sich des Tabakverlegers 
Simon Lichtenthal Tochter mit einem auswärtigen in 
der Quelle nicht mit Namen genannten Juden. Die 
Trauung vollzog sich in einem der vornehmsten Häu¬ 
ser des Ringplatzes, dem heutigen Stadthotel „Sonne6', 
im Hofe unter freiem Himmel. Das war wohl wieder 
nach langer Zeit die erste Judenhochzeit in K. und 
sollte es für lange Zeit auch bleiben. 
Im J. 1798 gelangte ein neues Judensteuer-System 
zur Einführung und die Juden beiderlei Geschlechts 
hatten neue Vermögensbekenntnisse einzubringen; da¬ 
zu wurden am 23. Juni 9 Stück Fassionstabellen so¬ 
wohl für die Stadt als auch für die der Kaadner Ge¬ 
richtsbarkeit unterstehenden Ortschaften zugestellt 
und am 28. desselben Monats ausgefüllt dem Kreis¬ 
amte zurückgesendet. Leider ist keine Abschrift dieser 
ausgefüllten Bekenntnisse mehr zu finden und auch 
aus der Zahl der Tabellen läßt sich auf die Zahl der 
damals in der Stadt selbst lebenden Juden kein Schluß 
ziehen. Es dürften bloß die Angestellten der Tabakge- 
fälls-Pachtung und ihre Angehörigen gewesen sein. 
Sie sind vermutlich auch unter jenen Juden zu ver¬ 
stehen, denen das Bürgermeisteramt das Hofdekret 
vom 12. Juli 1798 über die Befähigung jüdischer Haus¬ 
und Religionslehrer, Knaben zum Talmudstudium vor¬ 
zubereiten, und eine Verordnung des Saazer Kreis¬ 
amtes, vom selben Jahre, daß jüdische Beschneider 
das Messer zur Prüfung mitzubringen haben, bekannt¬ 
gibt. 
Diese Urkunden über jüdische Angelegenheiten aus 
dem Jahre 1798 sind die jüngsten, die das Stadtarchiv 
noch verwahrt, über die spätere Zeit, das 19. Jht., 
schweigt es. Es kann aber mit Bestimmtheit ange¬ 
nommen werden, daß bezüglich der Juden in K. alles 
blieb, wie es war, daß höchstens der jüdische Tabak¬ 
verleger früher oder später durch einen Christen er¬ 
setzt wurde, an ein Einwurzeln und Gedeihen dem 
jüdischen Niederlassung war nicht zu denken. Die Be¬ 
völkerung in ihrer überwältigenden Mehrheit war von 
einem judenfeindlichen Geiste beseelt, der ihr schon 
in dien Kinderjahren durch das Elternhaus und die 
Schule eingeflößt wurde. Es wuchs kein Kaadner Kind 
heran, ohne daß ihm die Geschichte des einst von dem 
Juden Noë ermordeten Christenkindes, des Matthesl, 
daheim von den Eltern und vom Lehrer in der Schule 
immer wieder wäre erzählt worden. Es war dies ja die 
große Geschichte aus der Kaadner Vergangenheit, die 
wie kein anderes Ereignis lebendig vor der Seele des 
Volkes stand und dessen Andenken nicht erlöschen 
durfte. In der Dekanalkirche hing das Ölbild mit der 
Darstellung der Mordtat; jedermann kannte hier die 
Nische mit dem kunstvollen Eisengitter beim Hoch¬ 
altar, in der das beigesetzte Körperlein des Kindes 
1811 beim großen Stadtbrande ein Raub der Flammen 
wurde; im Franziskanerkloster wurde sein grobes 
Röcklein gezeigt; bei einer feierlichen Schlußprüfung 
ergingen sich Schulkinder in schwungvollem, vom 
Katecheten verfaßten Zwiegespräch über die Un¬ 
schuld des Christenknaben und die Schlechtigkeit des 
mordenden Juden und der Leiter einer Schauspieler¬ 
truppe dramatisierte neben anderen heimischen Sagen¬ 
stoffen auch die Mattheslgeschichte in so geschickter 
Weise, daß die Aufführungen unter großem Zulauf 
des öfteren wiederholt werden mußten; kurz, in jener 
gemächlich ruhigen Zeit, wo der Sinn der Menschen 
sich weit mehr als heute liebevoll vergangenen Dingen 
der Heimat zuwandte, konnte es da anders sein, als 
daß jene althergebrachte feindselige Einstellung gegen 
die Juden sich aufrecht erhielt und namentlich die 
Kinder in jedem Juden etwas Gefährliches, des Ab- 
scheus Würdiges erblickten und dies umsomehr, je 
seltener ihnen ein Jude zu Gesicht kam? 
Es schien wahrhaftig, als ob der Wunsch des K. 
Magistrats, den er in einer Eingabe an das Saazer 
Kreisamt vom 18. Dezember 1720 aussprach, in Er¬ 
füllung gehen sollte, es möchten sich nämlich die 
Juden für jetzt und zu ewigen Zeiten in dieser Stadt 
keines sanften Schlafes mehr getrösten. 
Welch ein Mut gehörte unter solchen Umständen 
und nach so schlimmen Erfahrungen dazu, neuerdings 
den Entschluß, einer dauernden Ansiedlung in K. zu 
fassen! Diesen Mut hatte im Jahre 1870 ein fünfzig¬ 
jähriger Geschäftsmann mit Namen Alois Schnei¬ 
der, aus der altehrwürdigen J. G. Weitentrebetitsch 
stammend, der mit zielsicherem Blick die rechten 
Wege zu finden wußte, um allen Gegnerschaften zum 
Trotz hier Fuß zu fassen. Er hatte bald Boden ge¬ 
wonnen und konnte fortan unangefochten, wohlgelit 
ten und geachtet seinem Berufe als Produktenhändler 
leben, sein Geschäft ausbauen und für seine zahlreiche 
Familie in ausgiebigem Maße sorgen. Mit dem Kauf- 
vertrage vom 10. April 1871 erwarb er den Wirt¬ 
schaftshof Nr. 423 in der Schrauzergasse um den Be¬ 
trag von 10.500 Gulden ö. W., in dem noch heute 
sein Sohn David Schneider das vom Vater gegründete 
Getreidegeschäft in der ererbten rechtlichen Art mit 
vollem Erfolge betreibt. Am 28. Juli 1879 wurde ihm 
vom Gemeindeausschuß die Heimatzuständigkeit und 
das Bürgerrecht der Stadt K. verliehen und nach An¬ 
gelobung der Bürgerpflichten in der Ratssitzung vom 
25. August desselben Jahres erhielt er das Bürger¬ 
diplom ausgefolgt. So hatte K. nach 385 Jahren wieder 
einen jüdischen Mitbürger. 
Alois Schneiders Beispiel folgten andere jüdische 
Familien, siedelten sich in K. an und trieben hier 
Handel und sonstige Geschäfte unbehelligt wie anders¬ 
wo. In religiöser Beziehung waren sie dem Rabbinate 
Saaz zugeteilt. Durch das religiöse Bedürfnis wurden 
sie zu einem Betverein zusammengeführt, der seit 
1874 bestand und in dem neben Alois Schneider, be¬ 
sonders der Kaufmann Ferdinand L e d e r e r, wel¬ 
cher das Geldwesen des Vereines verwaltete, für Zu¬ 
sammenschluß und Eintracht sorgte, indem er stets als 
den Zweck des Vereines neben der Pflege der reli¬ 
giösen Gesinnung die Einigung und Verbrüderung der 
hier lebenden Israeliten betonte. Er leitete auch die 
Gründung eines Kultusvereines in die Wege, der im 
Auftrage der Statthalterei vom 30. Juni 1884 sich 
bildete und am 17. Juli die erste Kaadner israelitische 
Kultusvertretung wählte. Erster Vorsteher war Ferdi¬ 
nand L e d e r e r, Stv. Salomon Samuel, Kassier 
Nathan F eidstein, Ausschußmänner Eduard Uli¬ 
mann und Moritz Baum. Diese Amtswalter waren 
wie alle späteren Amtswalter der Gemeinde auf drei 
Jahre gewählt. Veit Böhm war Kt. und Rlgl., für 
dessen Entlohnung freiwillige Beitrage geleistet wur¬ 
den. Ein Betlokal war in einem christlichen Privat¬ 
hause der Süßengasse (CNr. 107) gemietet worden, 
an den hohen Feiertagen wurde der Gottesdienst im 
Saale des Gasthauses „Zum Goldenen Hirschen" abge¬ 
halten, bis im Mai 1887 ein geräumiger Betraum samt 
einer Wohnung für den Rlgl. in einer bewohnbar 
gemachten Bastei der alten Stadtbefestigung (Nr. 187) 
mietweise erworben wurde, die noch heute im Volke 
der „Judentempel44 heißt, wiewohl sie längst wieder 
anderen Zwecken dient. Dieser Betraum wurde 1888 
Kadañ 14 
236 
Kaaden 14
	        
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