Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

nehmen wird, also der jüdische Einnehmer notwendig 
bis auf den anderen Morgen verziehen muß, wie kann 
es dann die Stadt verantworten, daß dieser sich öfters 
mit etlichen hundert Gulden baren Geldes aus der 
Stadt übers Wasser in das einsame Häusl begeben und 
Gefahr laufen muß, beraubt und erschlagen zu wer¬ 
den, wie denn jeder Dieb zugleich aufs Leben geht? 
Darum bittet die Eingabe schließlich um Erlassung 
einer Verordnung, daß den nach K. kommenden Ju¬ 
den die Übernachtung, soweit sie solche nötig haben, 
absonderlich zu Jahrmarktzeiten und namentlich den 
jüdischen Kontributionseinnehmern, so oft sie bei der 
Filialkasse in K. zu tun haben und nicht bald abge¬ 
fertigt werden können, nicht verweigert werden dürfe. 
Unterschrieben ist diese Eingabe von Benjamin Prze- 
stitz, Aberham Schickh, Markus Wollien, Hersehl Cal- 
mus, Aberham Prager, Salomon Horzepnikh, Hersehl 
Launer und Gumpricht Chotzen. Auf Anordnung der 
Statthalterei trat am 22. November 1720 auf dem 
Herrensitze des Kreishauptmannes Karl Max Leopold 
Przichowsky in Hohenlibin eine Kommission zusam¬ 
men, an welcher für die Stadt K. zwei Magistratsräte 
mit dem Notar, welcher das Original des Judenprivi¬ 
legs vorlegte, und seitens der Juden die Landesdepu 
tierten Hersehl Ca'lmus und Lazar Isak teilnahmen. 
Die Untersuchung sollte ergeben, ob die Kaadner wirk¬ 
lich bisher keinen Juden wissentlich und ungestraft 
in ihren Mauern haben übernachten lassen und so 
ihre Auslegung des Ferdinandeischen Reskripts durch 
langjährige Übung, also durch das ius consuetudiiia- 
rium gestützt hätten. Die Juden beriefen sich auf die 
Erzählung verstorbener Glaubensgenossen, daß sie vor 
50 und 60 Jahren in der Stadt ohne Hindernis und 
Heimlichkeit Nachtherberge fanden, wobei sie die 
Häuser und Familien, in denen sie ihnen gewährt 
wurde, genau bezeichneten; sie wiesen auf das Zeug¬ 
nis noch lebender Personen hin, die seit mehr als 30 
Jahren in K. übernachteten und denen von einem 
Rechte, daß ihnen die Übernachtung verwehrt werden 
könnte, nichts gesagt wurde. Als z. B. im J. 1715 die 
Kreisrevidierung in K. stattfand, wohnten die dabei 
erschienenen Juden durch fünf Tage ohne Wider¬ 
spruch in der Stadt bei dem Tuchmacher Johann 
Pepp'l (heute Haus CNr. 217). Allerdings leugneten 
sie nicht, daß über Juden und Bürger wegen des Über¬ 
nachtens Arreststrafen verhängt wurden, erklärten 
aber, daß dies kein Rechts-, sondern ein Gewaltakt 
gewesen sei, gegen den der Jude sich nicht habe weh¬ 
ren können. Sie gaben auch zu, daß in einem Hause 
jenseits der Egerbrücke oder in dem nur einen guten 
Büchsenschuß entfernt gelegenen Dörfchen Seelau 
Nacihtherberge zu finden gewesen sei, mochten aber 
diese um der Sicherheit willen nicht gerne beziehen, 
denn erst vor einigen Jahren sei in der Ziegelhütte, 
dem Nachbargebäude des „Gerberhäusls'% ein Raub¬ 
mord geschehen. So dürfe sich der jüdische Kontri¬ 
butionseinnehmer vor allen anderen nicht solcher Ge¬ 
fahr aussetzen, indem er mit den Steuergeldern außer¬ 
halb der Sicherheit der Stadt übernachte. Dagegen 
wandten die Kaadner ein, er könne ja, um einer sol¬ 
chen Gefahr auszuweichen, die Gelder jederzeit, wie 
es oft seitens großer Herrschaften geschehe, dem 
Steueramte als Depositum übergeben. Wenn Juden in 
vergangenen Jhzt. übernachteten, sei es heimlich, 
ohne Yorwissen des Rates geschehen und in jedem 
Fall, der zur Kenntnis desselben kam, seien die Schul¬ 
digen der Strafe verfallen. Das bewiesen sie mit sieben 
Auszügen aus den Amts- und Gerichtsbüchern. Gegen 
die jüdischen Zeugen könnten sie genug Gegenzeugen 
führen, von denen ja nach den Stadtrechten jedem 
einzelnen als ehrbaren, würdigen Manne mehr Glaube 
geschenkt werden müsse, als dreißig Juden, die „nach 
Art und Natur und von Geburt aus unwahrhaft und 
betrügerisch" seien. Als die böhmische Kammer im 
März 1720 die Kreisjudenschaft nach K. zusammen¬ 
rief und vorauszusehen war, daß die Verhandlungen 
einige Tage währen würden, beschloß der Magistrat, 
sich bei der Oberbehörde zur Wahrung seines Rechtes 
dagegen zu stellen, daß die Juden aus diesem Anlasse 
in der Stadt übernachten. Da nahmen die Juden aus 
eigenem Entschlüsse bei dem Gerber über der Eger¬ 
brücke gegen billige Abfindung Nachtquartier. Unter 
den Zeugen der Stadtgemeinde sagte besonders der 
72 Jahre alte ehemalige Stadtrichter Daniel Wanner 
aus, daß ihm während seiner dreijährigen Amtszeit 
vom Rate des öfteren eingeschärft wurde, keines Ju¬ 
den Übernachtung zu dulden, dem er auch nachge¬ 
kommen sei. Vom Kontributionseinnehmer Lazar Isak 
erzählte er, daß, als dieser einst nächtlicherweile im 
Herrenhause (jetzt Großgasthof Gangl CNr. 122) an¬ 
getroffen wurde, er ihn auf Geheiß des Bürgermeisters 
ins Rathaus bringen und von hier, weil er in seinen 
Äußerungen sich gegen den Bürgermeister „verstieg \ 
in den Schachtleiarrest abführen mußte, woselbst er 
aber nicht viel länger als eine halbe Stunde verblieb. 
Wenn auch das Verbot der Übernachtung im Privi¬ 
legium nicht ausdrücklich ausgesprochen sei, so 
habe doch die 70 jährige Übung und Gewohnheit die 
Geltung eines wirklichen Gesetzes erlangt. Daß die 
Juden übertags in der Stadt sich aufhalten und ihren 
Geschäften nachgehen dürfen, verdanken sie der puren 
Güte des Magistrats; das gebe ihnen kein Recht, auch 
die Übernachtung zu verlangen. Auch in anderen 
Städten, aus denen sie ausgewiesen wurden, würden 
sie bei Tage eingelassen, in manchen Orten allerdings 
erst nach Erlag von 2, 3 und mehr Gulden, nächtli¬ 
cherweile aber nicht geduldet. In K. hätten sie nur zu 
Jahrmarktzeiten dem Stadtrichter und Fronboten 
nach alter Gepflogenheit eine Gebühr von 7 Kreuzern 
zu entrichten. Weil nun die Juden bei dieser Gelegen¬ 
heit die Abstellung dieser Gebühr forderten, so er¬ 
kläre der Rat, daß bei verweigerter Zahlung dieser 
Gebühr die Juden wie in anderen Städten auch bei 
lag den Weg an der Stadt vorbei zu suchen gezwun¬ 
gen würden. Nebenbei bemerkten sie, daß die vor¬ 
liegenden Eingaben der Landesjudenschaft im Grunde 
ungültig seien, weil sie entgegen der josephinischen 
Pragmatik vom 9. August 1709 weder von den Juden¬ 
ältesten noch dem Sollizitator unterfertigt seien. Doch 
hätten sie, um die Angelegenheit ins reine zu bringen, 
über diesen Mangel hinweggesehen. 
Die Frage, ob wirklich in den verflossenen sieben 
Jhzt. kein Jude erlaubterweise in K. über Nacht blei¬ 
ben durfte, blieb unbeantwortet, da hier Beweis gegen 
Beweis stand; auch eine zweite kommissioneile Unter¬ 
suchung in dieser Angelegenheit, welche am 15. Sep¬ 
tember 1721 zu K. unter Teilnahme derselben jüdi- 
Vertreter stattfand, zeitigte kein besseres Ergebnis. 
Und wie die Saazer Kreishauptleute in ihrem Berichte 
über die erste Kommission der Berufung der Kaadner 
auf ihr ex duplici capite, privilegio et consuetudine, 
fließendes Recht nicht viel Wert beimaßen und der 
Statthalterei den Antrag unterbreiteten, daß den Juden 
die angesuchte Erlaubnis zum Übernachten zu erteilen 
sei, weil das kaisl. Reskript nur das Verbot, sich da¬ 
selbst seßhaft zu machen, für ewige Zeiten ausspreche, 
vom Handeln und Pernoktieren aber nichts erwähne, 
so äußerten sie auch im Berichte über die zweite 
Kommission dieselbe gutachtliche Meinung, sie noch 
mit dem Hinweise auf das 1658 für die Komotauer 
Juden erlassene Verbot, auf Komotauer Grund zu han¬ 
deln und zu wandeln, unterstützend, wodurch die den 
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Kaaden tí
	        
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