Volltext: Steins Geschichte des Weltkriegs

Innehaltung her vorgeschriebenen militärischen Pläne gegen die Grenzen abließ. Der 
Transport eines Millonenheeres, wie es die Welt noch nicht gesehen hat, die Weg¬ 
schaffung der Pferde, der Geschütze, der Munition und des Proviants stellten Anfor¬ 
derungen, die nur unter Aufbietung aller Kräfte in eisernem Pflichtbewußtsein und 
strengster Gewissenhaftigkeit zu erfüllen waren. Deutschland glich vom Rhein bis zur 
Weichsel einem Kriegslager, in dem alles in Bewegung war. Das Wunder der deut¬ 
schen Organisation trat ins Licht des Tages. Einsichtsvolle Disziplin ermöglichte eine 
augenblickliche Kriegsbereitschaft, die beim Durchbruch in Belgien schon in der ersten 
Kriegswoche die schönsten Früchte reifen ließ. Der vielgestaltige Betrieb wickelte sich — 
wie hernach von amtlicher Stelle bezeugt wurde — ohne jede Rückfrage ab. Auch der 
Geringste war auf dem Posten. 
Aufs schwerste war bei Ausbruch des Krieges in den feindlichen Staaten die 
Rechtssicherheit der Deutschen gefährdet. Sowohl in Belgien und Frankreich, wie in 
England und Rußland vergriff sich der Pöbel an deutschem Eigentum und deutschen 
Staatsangehörigen in der schamlosesten Weise, ohne von Polizei oder Militär bei 
seinen verbrecherischen Handlungen behindert zu werden. Aufs schonungsloseste ver¬ 
fuhren auch die Behörden selbst mit deutschen Untertanen, Frauen und Kinder fielen 
feindlicher Willkür zum Opfer. Internierungslager, denen oft die einfachsten und not¬ 
wendigsten Einrichtungen abgingen, wurden mit deutschen oder österreichisch-ungarischen 
Zivilgefangenen überfüllt. Ein aus Antwerpen geflüchteter Deutscher, der eine Zeit¬ 
lang als Kriegsgefangener in Brüste! zurückgehalten worden war, berichtete dem „Ber¬ 
liner Tageblatt" über feine Erlebnisse: „Der Ausweisungsbefehl war gekommen. Noch 
aber waren nicht 12 Stunden verflossen, da wurden die Flüchtlinge, 4000 an der Zahl, 
auf dem Bahnhof Brügge aufgehalten. Sämtliche Deutsche und Österreicher wurden 
in die Wartefäle geführt. Dann wurde ihnen das Gepäck abgenommen. Die Frauen 
und Kinder brachte man nach dem englischen Kloster, die Männer führte man trupp¬ 
weise nach den verschiedenen Gefängnissen. Vor dem Bahnhöfe erwartete uns wut- 
entflammt eine tausendköpfige Menge, die fortwährend rief: „Schlagt die Spione tot! 
Nieder mit den Deutschen!" Soldaten mußten uns mit Kolbenstößen den Weg bahnen. 
Von einem Neubau wurden Ziegelsteine auf uns herabgeschleudert. In Gruppen zu 
40 bis 50 wurden wir dann in einzelnen Zimmern eingeschlossen. Als Lager waren 
20 schmutzige Strohmatten zur Verfügung. In diesem Raume zusammengepfercht 
'brachten wir den ersten Tag und die erste Nacht ohne jede Nahrung zu. Nicht einmal 
Master erhielten wir. Es wurde uns auch nicht gestattet, auszutreten. Alle unsere 
Bitten, uns wenigstens Waschwasser zu geben, damit wir selbst den Boden von dem 
ärgsten Schmutz säubern könnten, wurden abgeschlagen. Erst am Morgen des vierten 
Tages brachten uns Damen vom Roten Kreuz Kaffee, Brot und Wasser. Dann er¬ 
hielten wir wieder den ganzen Tag über nichts. Am fünften Tage wurde das Zimmer 
notdürftig gereinigt, und wir erhielten morgens Kaffee und Brot und mittags Fleisch 
und Kaffee. Am sechsten Tage wurden wir endlich vor ein Kriegsgericht gestellt, und 
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