Volltext: Steins Geschichte des Weltkriegs

Beantwortung der befristeten Note zu erwirken, ein Ansinnen, das freilich zurück¬ 
gewiesen wurde. Weit entfernt, sein schweres Verschulden zuzugeben und durch Nach¬ 
giebigkeit Europa den Frieden zu erhalten, weigerte sich Serbien in seiner Antwort¬ 
note, den Forderungen Österreich-Ungarns unzweideutig zu genügen. 
Da gab es zur Sühne des Verbrechens und zur Wahrung der Großmachtstellung 
des Kaiserreiches keine Wahl: der österreichisch-ungarische Minister des Äußern Graf 
Berchtold erklärte, da die königlich serbische Regierung die Note, welche ihr vom 
österreichisch-ungarischen Gesandten in Belgrad am 23. Juli 1914 übergeben worden 
war, nicht in befriedigender Weise beantwortet hat, so sieht sich die k. und k. Regierung 
in die Notwendigkeit versetzt, selbst für die Wahrung ihrer Rechte und Interesien Sorge 
zu tragen und zu diesem Ende an die Gewalt der Waffen zu appellieren. Österreich- 
Ungarn betrachtet sich daher von diesem Augenblicke an als im Kriegszustand mit Ser¬ 
bien befindlich. 
Die Rückendeckung Serbiens durch Rußland ließ den österreichisch-serbischen 
Streit alsbald über den örtlichen Zusammenstoß hinaus zu einem gewaltigen euro¬ 
päischen Ereignis von noch unberechenbaren Folgen emporwachsen. Es mußte sich 
zeigen, wieweit sich Rußland selbst von seinen Bundesgenosien unterstützt wußte, um es 
wagen zu können, dem Waffengang mit den europäischen Mittelmächten ruhig entgegen¬ 
zusehen. Denn es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß Deutschland heute ebenso, 
wie vor kurzem bei der Einverleibung Bosniens und der Herzegowina in die Länder der 
Donaumonarchie — getragen von dem Geiste echter Bündnistreue — sein scharfes 
Schwert an Österreich-Ungarns Seite ziehen werde. 
Während die Truppen des Zaren längst unter den Waffen standen — wir 
wußten damals noch nicht, wie weit die russischen Rüstungen in der Tat schon gediehen 
waren —, versuchte der Kaiser von Rußland noch unter Täuschung Deutschlands die 
letzten Kriegsvorbereitungen zu treffen. Obwohl inzwischen bekannt, geworden war, daß 
Rußland alle seine Streitkräfte, auch nach der deutschen Grenze hin, mobilisiert habe, 
gab noch am 27. Juli der russische Kriegsminister die Versicherung ab, daß keine Mobil¬ 
machungsorder ergangen sei, eine Erklärung, die kurz darauf der russische Generalftabs- 
ches in feierlichster Form unter Ehrenwort wiederholte; nirgends sei die Einziehung 
eines Mannes oder Pferdes erfolgt, der Zar wünsche keine Truppenbewegung nach der 
deutschen Grenze zu. 
Infolge der überaus schwierigen Lage kehrte der deutsche Kaiser von seiner Nord¬ 
landreise nach Potsdam zurück und holte alsbald zu den letzten Versuchen zur Ver¬ 
meidung eines Weltkrieges aus — getreu dem Geiste echter Friedensliebe, der ihn in 
nahezu dreißigjähriger Regierung beseelt hat. Ein im Weißbuch der deutschen Re¬ 
gierung enthaltener Telegrammwechsel zwischen Kaiser und Zar erbringt vor aller Welt 
und für alle Zeiten den Beweis, daß die Zentralmächte den furchtbaren Krieg nicht ent- 
festelt haben, daß vielmehr Rußland ihn — gestützt auf seine Eideshelfer — vom Zaune 
brach. Da drahtet der Kaiser am 28. Juli an den Zaren: „Die skrupellose Agitation, 
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