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Es ist eine merkwürdige und nur durch die geschichtliche
Entwicklung des Täufertums erklärliche Erscheinung, dafs sich
die Mitglieder der Täufergemeinden des 16. Jahrhunderts fast
ausschliefslich aus der Städtebevölkerung rekrutierten. Die Hand
werker stellen das Gros der Bekenner. Weltgeistliche und Mönche,
welche vom katholischen Glauben abgefallen, ihre Pfründen und
Klöster verlassen hatten, um dem Lutherschen Evangelium anzu
hängen, durch dessen Entwicklung in den zwanziger Jahren aber
ihre religiösen Bedürfnisse nicht befriedigt fühlten, sowie einige
wenige Gebildete anderer Stände, darunter viele Schullehrer, waren
in der Regel die Führer und Lehrer, die Vorsteher, Apostel und
Bischöfe.
Der Bauernstand und der Adel hielt sich von der täuferischen
Bewegung fern, ja letzterer, der der Lutherschen Lehre mit soviel
Sympathieen entgegenkam, unterstützte die weltliche und geist
liche Obrigkeit in Verfolgung der Wiedertäufer mit Eifer und
Erfolg. Ein einziges Mitglied der heimischen Aristokratie, Frau
Dorothea Jörger auf Tolet, scheint eine Zeitlang der täuferischen
Lehre sich zugeneigt zu haben, wenigstens kommt in ihrem Testa
mente, welches sie Luther zur Prüfung und Redigierung vorlegt,
eine Stelle vor, welche darauf hindeutet. Es heifst darin, dafs
sie der Wiedertäufer- und Schwärmerlästerung wider die heiligen
Sakramente (des Altars und der Taufe) von Herzen abschwört und
ihren Irrtum verwirft *).
a ) Raupach 1. c. tom. n. S. 60 ff.