Volltext: Das Bildungswesen im neuen Deutschland [37]

Gemeinden die Befugnis erteilt wurde, durch ortsstatutarische 
Bestimmungen Fortbildungsschulen einzurichten, und ein weiterer 
Nachtrag ermächtigte 1911 die höheren Verwaltungsbehörden, die 
Gemeinden zur Errichtung von Fortbildungsschulen zu zwingen. 
Es bestehen also vielseitige Beziehungen zwischen Reich und 
Schule, und gerade der herrliche nationale Aufschwung der Gegen¬ 
wart legt die Frage nahe, ob diese Beziehungen nicht enger zu 
knüpfen und verfassungsmäßig zu befestigen seien. Tatsächlich ist 
diese Frage seit langer Zeit erörtert worden, und zwar mit be¬ 
sonderer Rücksicht auf das Volksschulwesen. Der Reichsschul¬ 
gedanke hat schon in den Einheitsbestrebungen der vierziger Jahre 
eine wichtige Rolle gespielt, und nach der Reichsgründung sind 
viele Stimmen laut geworden, die es als eine Lücke in der Neichs- 
verfassung bezeichneten, daß das nationale Bildungswesen nicht 
in sie einbezogen und also das Reich in einer für die nationale 
Entwicklung doch außerordentlich bedeutungsvollen Angelegenheit 
von allem Anfang an zur Antätigkeit verurteilt worden sei. Die 
deutsche Lehrerschaft hat sich wiederholt eingehend mit der Frage 
beschäftigt und ist dafür eingetreten, daß das Schulrecht wenig¬ 
stens bis zu einem gewissen Grade der Reichsgesetzgebung ein¬ 
zuordnen sei. In den letzten Jahren hat die sozialdemokratische 
Partei bei der Beratung des Etats der Reichsschulkommission 
im Reichstag wiederholt den Antrag auf reichsgesetzliche Regelung 
des Volksschulwesens gestellt. 
Es bedarf kaum eines Wortes darüber, daß das Reich an 
der Bildung seiner Bürger ein tiefgehendes Interesse hat und 
haben muH, und zwar aus den verschiedensten Gründen: aus 
einem allgemeinen ethisch-kulturellen Grunde, um ihnen den Genuß 
der höheren Güter der Kultur in immer weiterem Amfange zu¬ 
gänglich zu machen, dadurch ihr Dasein zu veredeln und sie gleich¬ 
sam auf eine höhere Stufe der Menschlichkeit zu erheben; aus 
einem volkswirtschaftlichen, um durch erhöhte Bildung der Massen 
ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu steigern, auf der zu einem 
guten Teil die Macht des Reiches beruht; aus einem sozialen, 
um die ständische Zerklüftung des Volkskörpers wenigstens in 
etwas zu mildern; aus einem nationalen, um durch eine gewisse 
Vereinheitlichung des geistigen Lebens das Gefühl der nationalen 
Zusammengehörigkeit zu stärken; aus einem politischen, um die 
Menschen geistig reifer zu machen zur bewußten Erfüllung ihrer 
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