Volltext: Weltpolitisches Wanderbuch 1897-1915

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Abendland so durchdrungen von Gedanken und Vorstellungen 
christlicher Herkunft, daß wir auf den Zusammensturz alles Be 
stehenden kämen, wenn wir versuchten, uns das Christliche dar 
aus fortzudenken. Ebenso steht es in China mit der confu- 
cianischen Lehre von der sittlichen Persönlichkeit im Staat. 
Vieser Gedanke ist es, der China seit zwei Jahrtausenden er 
halten hat. Er macht es möglich, vierhundert Millionen Men 
schen mit einer im Verhältnis zu dieser Menge verschwindend 
geringen Anzahl von Beamten zu regieren. China ist das Land, 
das sich durch seine alte Studien- und Prüfungsordnung zu dem 
Prinzip bekannte, alle Schulung zum Staatsdienst bestehe in der 
Schulung zur sittlichen Erkenntnis und Weisheit. Daran hat in 
der Praxis viel gefehlt, aber die Idee blieb durch die Jahrtausende 
lebendig, und durch große Herrscher und bedeutende Persönlich 
keiten erhielt sie stets von neuem wirkende Kraft in der Verwal 
tung und Rechtspflege. Ohne den Confucianismus können weder 
die Dauer des chinesischen Staats noch die Ausbreitung der chine 
sischen Rultur über ein so großes Gebiet verstanden werden. 
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lvie wollen wir, wie wollen unsre Missionare und Diplo 
maten mit den Chinesen verkehren, wenn wir uns nicht Mühe 
geben, ihre Weltanschauung zu begreifen? Vas ist keine so leichte 
Sache. Und wieviele von den Besuchern, die in den Confucius- 
tempel kommen und durch den Steintafelwald mit den un 
verständlichen Schriftzeichen streifen, erkennen die Natur der 
anderen Krage: Wenn China unter den Einfluß des Abendlandes 
kommt — welche Aufgabe soll dabei dem deutschen Wesen zu 
fallen ? Es ist unmöglich, tief und ftuchtbar auf China zu wirken, 
wenn man nicht die geistige Seite der confucianischen Kultur 
versteht, ebenso unmöglich, wie daß uns Abendländern jemand, 
der das Alte und Neue Testament und die ethische Philosophie 
von Plato bis Hegel nur als Bücher voll unlesbarer Schrift 
zeichen zu betrachten imstande wäre, eine neue geistige Welt 
anschauung brächte!
	        
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