Volltext: Weltpolitisches Wanderbuch 1897-1915

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Wie alle chinesischen Tempel, so hat auch der des Confucius 
in Peking als Hauptraum eine Halle mit breitem Eingangstor. 
Auf der Halle ruht ein von Holzpfeilern getragenes geschweiftes 
Vach. Neun Herrscher aus der Mandschu-Vgnastie haben bisher 
über China regiert, und jeder von ihnen hat zu Ehren des Weisen 
des Reichs eine Votivtafel in der Tempelhalle aufhängen lassen, 
hinter einem Gpfertisch steht die Seelentafel Rungs und davor 
die Tafeln seiner vier größten Schüler. Km meisten von ihnen 
danken wir dem Pen-Hui, denn er hauptsächlich hat uns das 
werk überliefert, das uns besser als andere den Geist Rungs 
offenbart, die Lun Pü, d. h. die Gespräche des Meisters. Den 
Hof vor der Halle umgibt eine gedeckte Galerie, unter der zahl 
lose, mit Schristzeichen bedeckte steinerne Tafeln stehen. Sie 
enthalten die Namen aller derer, die seit sechs Jahrhunderten 
die Prüfung für den höchsten gelehrten Grad, die Mitglied 
schaft der han-lin oder Reichsakademie, bestanden haben, 
vorsichtig und mit scheuem Blick vor unberufener Aufsicht 
winkt der Führer den Besuchern und weist bei einer der letzten 
Tafeln mit dem Finger auf eine ausgekratzte Stelle hin — 
nur leise wird der Name gesprochen, der hier stand: Rang 
gu-wei! Sein Träger lebt als Flüchtling in Japan, vor 
fünfzehn Jahren gründete er in Peking unter der jüngeren 
Generation eine geheime Vereinigung zur Einführung euro 
päischer Reformen, gewann Einfluß auf den jungen Raiser 
Rwang-Hsü, überredete ihn zu seinen Gedanken und verstieg 
sich bis zu dem Plan, die alte Regentin zu beseitigen, die trotz 
ihrer Zurückgezogenheit die Seele Alt-Lhinas geblieben war. 
ver Anschlag wurde verraten, die Teilnehmer ergriffen und 
hingerichtet, Rang-gu-wei glückte es, zu entkommen. 
Ein merkwürdiges Bild: die Gruppe europäischer Besucher 
mit dem Chinesen zwischen den Steintafeln im Halbdunkel der 
Galerie, gebückt und flüsternd, vor einer kleinen leeren Stelle 
zwischen den zahllosen in die Platten gegrabenen Zeichen. 
Jeder von uns war bewegt von dem Gefühl, daß die Strichelchen
	        
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