Volltext: Die Großmächte der Gegenwart

Gesellschaft 
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hoher Blüte und großem Wohlstand wie in Frankreich. Aber ihr 
Lharakter ist ein anderer,' während das französische Volk seine Er¬ 
sparnisse in Staatsobligationen anlegt, steckt das deutsche die sei- 
nigen in neue Unternehmungen. Dies ist der Unterschied zwischen 
einer stagnierenden und einer pulsierenden Gesellschaft. Deutsch¬ 
land ist noch nicht beim Altersstadium der Rentnergesellschaft an¬ 
gelangt. Manchmal kann dies eine Schwäche bedeuten, was während 
der Krisis 1911 scharf zutage trat, als Frankreich plötzlich den Geld¬ 
markt straffer anzogt aus Mangel an mobilen Hilfsquellen erlitt 
damals die deutsche Bankwelt bedeutende Verluste. Das deutsche Ka¬ 
pital strebt nunmehr auch in wachsendem Umfang ins Ausland. 
Rber das Entscheidende liegt im Entwicklungsgesichtspunkt selbst. 
Deutschland steht noch immer ganz unter dem Reizmittel des Kamp¬ 
fes und des Erwerbs, weitab von der Erschlaffung, die psychologisch 
dem „beatus possickens" eigen ist. Dies ist das Merkmal einer Ge¬ 
sellschaft, die eine bedeutende Gegenwart, aber eine noch bedeuten¬ 
dere Zukunft hat. Eine Macht, die ihren Menschenfond jährlich mit 
beinahe einer Million, ihren Handelsumsatz mit einer vollen Mil¬ 
liarde und ihr Nationalvermögen mit wenigstens ebensoviel ver¬ 
mehrt, eine solche Macht läßt sich nur mit den höchsten Maßen 
messen, wie sie selbst nach nichts Geringerem als den höchsten Zie¬ 
len strebt. 
Ein ernsteres Hindernis als den Interessengegensatz zwischen der 
agrarischen und der industriellen Aristokratie scheint das heutige 
Deutschland in der starken Entwicklung des gemeinsamen Feindes 
dieser beiden, der Sozialdemokratie, zu besitzen. Deutschland 
ist das Mutterland des Sozialismus, und schon 1875 bildete sich dort 
„die sozialistische Arbeiterpartei" — die Kehrseite der „fünf Milliar- 
den" mit ihrem industriellen Anreiz. Der Staat sah sich anfangs 
zu einem Kampf auf zwei Linien gegen dieselbe veranlaßt,' auf 
der einen Seite direkte Unterdrückung durch Gesetzgebung (1878—90), 
auf der anderen Seite positive Arbeit, um durch sozialpolitische Re¬ 
formen die Ursachen der sozialen Unzufriedenheit zu beseitigen.
	        
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