Volltext: Die Großmächte der Gegenwart

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IV. Deutschland 
kommt das Deutsche Reich in dieser ungünstigen Hinsicht chsterreich- 
Ungarn am nächsten. Frankreich ist „fertig", ebenso Italien,- Deutsch¬ 
land macht den Eindruck des Unfertigen. 
3. Volk. Wie immer spiegeln sich die Schwächen der politischen 
Karte auch aus der Nationalitätenkarte wider. Vas zweite welt¬ 
geschichtliche Werk des Nationalprinzips ist nicht absoluter und de¬ 
finitiver als das erste. Es gibt eine „Germania irredenta“ ebenso 
wie eine ltalia. Dazu kommen, was Deutschland betrifft, ernsthaftere 
Lücken in der inneren Homogenität. 
Der deutsche Stamm zählt wohl heutzutage in der Welt (mit 
dem niederländischen Zweig) wenigstens 100 Millionen Menschen, 
von ihnen wohnen ungefähr 60°/o im Deutschen Reich. Rls Irredenta 
können jedoch höchstens die in territorialem Zusammenhang woh¬ 
nenden 10 Millionen Deutschösterreicher und 2,6 Millionen Schwei¬ 
zer betrachtet werden, zusammen über 17 o/o des so begrenzten 
Stammes. Eine politische Bedeutung hat dieser Gesichtspunkt augen¬ 
blicklich kaum; die Schweiz gravitiert überhaupt nicht nach dem Na¬ 
tionalpol und Österreich nur unter gewissen Bedingungen (oben 
S. 14). Sollte jedoch eine Realisierung in letzterem Lande diesen Ab¬ 
schluß des Einheitswerkes aktuell machen, dann eröffnet sich in der 
Nationalitätsfrage eine rein politische Russicht aufs Mittelländische 
Meer, denn die Nationalität hat auch hier nicht ihren natürlichen 
Abschluß gefunden; dann bietet sich die Adria dar, zu der das schwache 
Volk der Slowenen Großdeutschland nicht auf die Dauer den Weg 
verlegen kann — Triest wurde bereits von Bismarck als Deutsch¬ 
lands natürlicher Außenhafen und als sein Fenster nach dem Mittel¬ 
meer hin bezeichnet. Die definitive Lösung von Deutschlands Natio¬ 
nalfrage nach dieser Seite hin würde zu dem alten Durchgangsland 
zwischen dem Mittelländischen Meer und der Nordsee mit seiner geo¬ 
graphischen Zersplitterung zurückführen, hierbei ist jedoch zu be¬ 
merken, daß das heutige Deutschland mit seinen durch die Konzentra¬ 
tion im Norden einmal gestärkten Kräften ganz andere Voraus¬ 
setzungen zum Ertragen dieser Distraktion besitzt als das alte Reich.
	        
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