Volltext: Die Großmächte der Gegenwart

Auswärtige Politik 
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Frankreichs gesamtes politisches System scheint jedoch bei näherer 
Betrachtung noch immer an einem 3ug „innerer Unwahrhaftigkeit" 
zu leiden, die Schiemann schon zu Beginn des neuen Kurses fest¬ 
stellte (1903). Die Allianz ist doch im Grunde eine politische Verbin¬ 
dung mit einem ebensolchen „ancien regime“, das man daheim aufs 
bitterste verfolgt. Die Entente ihrerseits setzt ein Stagnieren der Ex¬ 
pansion Frankreichs in Afrika sowohl wie in Asien voraus. Diese 
Orientierung in ihrer Gesamtheit erscheint als eine künstliche Kom¬ 
bination für einen gegebenen, zufälligen Zweck. War dieser Zweck 
Marokko, dann ist er erreicht, und die Welt kann zu einer „politique 
de l’equilibre“ (hanotaux) zurückkehren. War es dagegen die 
Revanche — dann hat die Gegenwart gewiß Anlaß zur Beunruhigung. 
vieles zeigt nach letzterer Richtung: das wiedererwachte Selbst¬ 
gefühl überhaupt, die Vorschläge, auch die Entente in eine Allianz zu 
verwandeln (zuletzt Lavisse 1914), die Wiedereinführung der drei¬ 
jährigen Dienstzeit (1913), welch letzterer Beschluß unter diesen Um¬ 
ständen weniger den Charakter einer Heerordnung als einer Kriegs¬ 
bereitschaft hat. Andererseits darf man eine Strömung zur Ver¬ 
söhnung mit Deutschland, die besonders bei der jüngeren Generation 
besteht, nicht ganz übersehen. „Faites un roi, si non, faites la paix“, 
ruft Marcel Sembat 1913 aus. Das ist der circulus, der zugleich 
eine Garantie für den Weltfrieden in sich schließt. Die republikani¬ 
schen Staatsmänner müssen durch den Gedanken zurückgehalten wer¬ 
den, daß ein gewonnener Krieg ebenso wie ein verlorener die ern¬ 
steste Gefahr für die Staatsform bilden würde, nachdem ihre wurzeln 
sich in der Seele -es Volkes zu lockern begonnen haben. Die Republik 
und die Revanche sind im Grunde und in der Praxis miteinander nicht 
gut vereinbar. 
Bei einem zusammenfassenden Blick auf das moderne Frankreich 
muß man unbedingt von dem Widerspruch betroffen werden, der 
zwischen einem Staat, der noch immer Expansionspolitik in großem 
Stile treibt, und einer Gesellschaft besteht, die aus Mangel an nor- 
maler Menschenzufuhr zu stagnieren begonnen hat.
	        
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