Staat
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(Entartung dem (Österreichs kaum nachsteht, aber für den Staat um so
gefährlicher war, als es größere Macht befaß. Die stark fortschrei¬
tende Sozialdemokratie konnte auch hier als die loyalste Partei be-
zeichnet werden, insofern sie weniger als die anderen veputierten-
gruppen rein private Zwecke verfolgte.
Auch in dieses Dunkel scheint jedoch die Entwicklung einen
Lichtstrahl gebracht zu haben. Die beginnende Teilnahme des Rleri-
kalismus am parlamentarischen Leben ist ein Signal zu festerer Par¬
teisammlung, und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1912
dürfte auch hier eine heilsame Verschiebung der Autorität nach dem
Monarchen hin zur Folge haben. Inzwischen hat die auswärtige
Politik des Staates in neuester Zeit ein allgemeines Aufflammen des
Nationalgefühls hervorgerufen, das auch dem Staate selbst unter der
Form erhöhten Verantwortungsgefühls für bürgerliche pflichten zu¬
gute kommen wird.
4. Auswärtige Probleme. Italiens auswärtige Probleme fußen
auf dem Nationalcharakter und dem geographischen Milieu. Der ästhe¬
tische Sinn der Nation und ihr starker, aber oberflächlicher Ehrgeiz,
der sich n.a. in der Vorliebe der gebildeten Masse für die „freien"
Gewerbe vor den praktischen zeigt, prädisponieren für eine „starke"
auswärtige Politik. Die Umstände lenkten Italiens erstes Streben
auf die Vollendung des Einigungswerkes,' es entwickelte sich zum
Irredentaprogramm, als Italien 1878 mit leeren fänden
von Berlin gehen mußte, während sein Erbfeind Bosnien erhielt.
Gleichzeitig entstand aus der Lage, Gestalt und den früheren Tradi¬
tionen des Reiches ein Mittelmeerprogramm, das zunächst
auf Tunis als „eine Art Verlängerung Siziliens" (Flamingo) be-
rechnet war. Mit diesen beiden Segeln steuerte das neue Italien
ins Fahrwasser der hohen Politik.
Da geschah etwas, was die Richtung der italienischen Politik auf
zwei Dezennien hinaus bestimmen sollte. Frankreich pflückte 1881
die auserlesene Frucht vor dem Hause Italiens für sich, „als ein
natürliches Anhängsel von Algerien". Dies bedeutete nicht nur den