Volltext: Die Großmächte der Gegenwart

Gesellschaft 
29 
rwmischem Gebiete zurückgeblieben ist, die Italiener sind noch „nicht 
fertig" — in Staat und Gesellschaft. 
5. Gesellschaft und Staat. Italien ist „das klassische Land der Aus¬ 
wanderung, ein großes Exportland von Arbeitskraft" ($rescura). 
Die Statistik berichtet, daß kein Land eine größere Emigrations¬ 
ziffer aufzuweisen hat. Gewisse Landesteile (Kalabrien) beginnen 
geradezu sich wie Irland zu entvölkern. Dies ist ein ernstes Zeichen 
nationaler Krankheit. 
Italiens Krankheit ist die soziale Frage, und sie ist hier noch vor 
allem eine agrarische. Der Grund des Übels liegt in der Verteilung 
des Besitzes: im Süden zu große Güter (Latifundien), mit allen 
Übelständen des Verpachtungssystems, im Norden dagegen kleine 
Parzellen, die ihre Besitzer zwingen, sich nach Extraeinkommen 
umzusehen. Dazu kommen die drückenden Steuerlasten, die eine 
Folge des Einigungswerkes und der Großmachtstellung sind — nicht 
zu vergessen die durch Erdbeben, lvolkenbrüche usw. herbeigeführ¬ 
ten wiederholten Katastrophen, die das Los des Landmannes trü¬ 
ben. Gegen solche Dinge können der Fleiß und die Anspruchslosig¬ 
keit des gemeinen Volkes wenig ausrichten. Oie Landwirtschaft ist 
kein konservierendes Element mehr, sondern selbst ein Herd für Un¬ 
ruhen, eine Pflanzschule sozialistischer Unzufriedenheit und eine Ge¬ 
fahr für den inneren Frieden. Aber dieser Zustand des Haupter- 
werbszweiges hemmt die Entwicklung des Wirtschaftslebens auch 
auf anderen Gebieten und macht Italien/trotz der Goldströme der 
Touristen und der in der Fremde weilenden oder der wieder heim- 
gekehrten Emigranten, zu einem der ärmsten Länder Europas 
(„siamo poveri“, Saracco 1897). 
In diesem trüben Bild dürfte sich vieles im neuen Jahrhundert 
geändert haben. „In den letzten 30 Jahren", sagte Giolitti 1908, 
„hat das Land Fortschritte von 100 Jahren gemacht", und auswär¬ 
tige Beobachter haben das vielleicht nicht unparteiische Zeugnis des 
Staatsmannes hinsichtlich des materiellen Aufschwungs bestätigt. Die 
blühende Lage der Staatsfinanzen, die die Führung des Tripolis¬
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.