Volltext: Die Großmächte der Gegenwart

26 
II. Italien 
der sechsten Großmacht zu rechnen. Es waren aber noch große Um¬ 
wälzungen nötig, bis Victor Lmanuel I. sich 1861 die Krone Ita¬ 
liens aufs Haupt setzen konnte, und erst nach einem weiteren De¬ 
zennium war das Reich unter der Krone gesammelt (venetien 1866, 
der Kirchenstaat 1870). 
Zwei Züge gibt es in diesem Einigungswerk, die von vorn¬ 
herein unsere Aufmerksamkeit fesseln. Erstens ist das Werk nicht 
aus eigener Kraft durchgeführt worden. Vas Programm „Italia 
farä da se“ machte 1849 bankrott; das heutige Italien mußte starke 
Helfer in Anspruch nehmen, Frankreich für den Eckstein und Deutsch¬ 
land für den Schlußstein seines Gebäudes. Zur Großmachtstellung 
gelangte Italien durch eigene Niederlagen und durch den Sieg der 
verbündeten. Diese Genesis drückt der neuen Großmacht von Geburt 
an ein Zeichen von Schwäche auf. Zweitens führte die Einigung 
des Staates eine tiefgehende Trennung zwischen Staat und Kirche 
herbei. Sie war zu keinem anderen Preis möglich, da der Staat, um 
seine historische Hauptstadt zu gewinnen, die weltlichen Besitzungen 
des päpstlichen Stuhles säkularisieren mußte. Seitdem reagiert die 
gesamte kirchliche Phalanx, die in einem so erzkatholischen Lande 
doppelt stark ist. bewußt und energisch gegen das nationale Staats¬ 
leben. Für die Großmacht war dies von Anfang an ein Hemmschuh. 
2. Reich und Volk. „Italien ist fertig, aber nicht die Italiener", so 
sprach 1866 Rlassimo d'Azeglio. E§ ist fraglich, ob nicht diese 
Diagnose noch heute eine Wahrheit enthält, wo das Volk ein halbes 
Jahrhundert Zeit gehabt hat, sich in die Staatseinheit einzuleben, 
welche die Konjunkturen geschenkt haben. 
Italien ist fertig. Die äußere Einheit, auf geographischer und 
ethnischer Basis, ist gründlicher durchgeführt als bei den allermeisten 
Staaten. So hat das Reich den Vorzug, in den Alpen und dem Meere 
die natürlichsten Grenzen zu besitzen, Im Grenzrahmen finden wir 
nur zwei auffallend schwache Punkte, nämlich da, wo die Grenze die 
Täler der Etsch und des Ticino schneidet' hier Sffnen sich natür¬ 
liche Wege ins Land hinein, die jetzt von den großen internationalen
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.