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I. Vsterreich-Ungarn
Süden) überschauen. Vom allgemeinen Kulturstandpunkt bedeutet
dies, daß Österreich-Ungarn zwei slawische Arme, die nach dem her.
zen Europas ausgestreckt sind, abgeschnitten und unter seine staat¬
liche Hoheit genommen hat. Zur die Großmacht selber bedeutet dies,
daß sie hinsichtlich der allgemeinen Kulturaufgabe auf ein eigenes
Persönlichkeitsziel verzichtet hat. Ihr fehlt die Volksseele.
Damit aber erscheint diese Macht als ein reiner Anachronismus
in einer Zeit, welche auch bei Staaten das Persönlichkeitsprinzip
entdeckt hat. Das ist nämlich die Bedeutung des modernen Natio¬
nalitätsprinzips, daß es für jede Nation staatliche Existenz und für
jeden Staat nationale Unterlage verlangt. Ähnlich etwa wie eine
tertiäre Tierform inmitten der heutigen Fauna, so steht die Gro߬
macht Ästerreich-Ungarn unter den modernen Nationalstaaten als
ein Überbleibsel eines primitiveren Entwicklungsstadiums, des mit-
telalterlichen Territorialstaates.
Diese Herausforderung der heutigen Staatsidee muß sich an
der Großmacht selbst rächen. Ls ließ sich nichts anderes erwar-
ten, als daß das Nationalitätsprinzip, einmal erwacht, auch hier
sein Recht fordern werde. Nachdem der alte, große Konflikt zwischen
der universalen Kaiseridee und der lokalen Aufgabe mit dem Siege
letzterer durch den Austritt Österreichs aus Deutschland gelöst wor-
den war, geriet die Monarchie unmittelbar in einen neuen, inneren
Konflikt, der noch immer den auffallendsten 3ug ihrer politischen
Physiognomie bildet und ihre Stärke als Wachtposten wesentlich ge¬
schwächt hat, nämlich den Konflikt zwischen dem Ganzen und den
einzelnen Teilen, der Streit um das Zusammenhalten verschiedener
Elemente, die im Namen der Nationalität auseinander wollen.
4. ver NationalitStrstrelt. wir wollen nun den chronischen inne¬
ren Krieg auf dem Boden Hsterreich-Ungarns im letzten halben Jahr-
hundert betrachten, hier, wo der Staat mehrere Nationen umfaßt,
mutz der Nationalitätsgedanke als Zentrifugalkraft wirken,- die ver-
schiedenen Volksterritorien wollen sich von der Staatseinheit und
voneinander losmachen. Ls ist dasselbe Problem, das den Untergang