Volltext: Der Völkerkrieg Band 12 (12 / 1918)

192 Frankreich während des fünften Kriegshalbjahres 
mit französischem Petroleum zu versehen. Der tief verstimmende Eindruck der Kohlen- 
und Transportkrisis (vgl. S. 189 und S. 208) auf die Volksstimmung hat natur 
gemäß ebenfalls die Opposition gegen das Kabinett Briand verstärkt." So lagen die 
Verhältnisse, als die Kammer am 28. November 1916 die geheimen Verhandlungen be 
gann, die erst am 6. Dezember 1916 beendet und in denen nicht weniger als 39 Inter 
pellationen verhandelt wurden, die in 6 Gruppen zerfielen: 1. Orientangelegenheiten, 
2. Seekrieg, 3. Kriegsmaterial, 4. Effektivbestände, 5. Oberkommando, 6. wirtschaftliche 
und finanzielle Fragen (Mangel an Nahrungsmitteln und an barem Gelde). 
Nachdem die Kammer am 7. Dezember 1916 ihre öffentliche Sitzung wieder aufgenommen 
hatte, zeigte es sich, daß das Ministerium Briand einer Niederlage nochmals entgangen 
war; aber die Opposition war bedeutend angewachsen, trotz der großen Zugeständnisse, 
die Briand im Verlaufe der Debatte gemacht hatte. Aus dem „Havas"-Berichte ergibt 
sich, daß Briand nach der Wiederaufnahme der öffentlichen Sitzung erklärte, die Re 
gierung könne nur die Tagesordnung Baboud-Lacroze annehmen, die den Ausdruck des 
Vertrauens enthalte. Der Abgeordnete Tardieu schlug dagegen eine Tagesordnung vor, 
worin die Schwäche und die mangelnde Festigkeit der Regierung verurteilt wurden. 
Vor der Abstimmung erklärte der Gemäßigte Chaumet, er stimme gegen die Re 
gierung, weil diese im Orient eine Lage geschaffen habe, die, wie man sagen müsse, dys 
französische Prestige nicht erhöhe. Briand erklärte dazu, das Prestige Frankreichs stehe 
höher als eine solche Wertung. Chaumet schloß, indem er an die Abmachungen erinnerte, 
die das Ministerium nicht gehalten habe. Der Sozialist Comp ere Morel erklärte 
sich ebenfalls gegen die Regierung, da in der Kriegführung, in der Diplomatie, in den 
wirtschaftlichen Beziehungen die Regierung zum vollständigen Bankerott geführt habe. 
Dagegen trat Renaudel für.die Regierung ein, welche versprochen habe, das Ober 
kommando in der unerläßlichen Weise zu reorganisieren. Bei der darauffolgenden Ab 
stimmung wurde die Priorität für die Tagesordnung Tardieu mit 295 gegen 117 
Stimmen abgelehnt und darauf durch Handaufheben der erste Satz der Tagesordnung 
Lacroze säst einstimmig angenommen. Er lautete: 
„Die Kammer nimmt Akt von den Erklärungen der Regierung über die Reorganisation des Ober 
kommandos und billigt die Entschließungen, die oberste Kriegführung und die Organisation der 
wirtschaftlichen Verhältnisse unter eine Leitung mit beschränkten Vollmachten zu bringen." 
Der zweite Absatz lautete: 
„Die Kammer setzt ihr Vertrauen in die Regierung, daß dieselbe in völligem Einvernehmen mit 
den Alliierten, die in Anerkenntnis der gemeinsamen Opfer unerläßliche Anstrengungen machen wird, 
um mit verdoppelter Energie zum endgültigen Siege zu gelangen, und geht zur Tagesordnung über." 
Er wurde in öffentlicher Abstimmung mit 344 gegen 160 Stimmen angenommen. 
Gegen die ganze Tagesordnung erhob sich dann kein Widerspruch mehr. 
In der Minderheit von 160 Abgeordneten, die gegen diese Tagesordnung stimmten, be 
fanden sich nur 7 Abgeordnete der Rechten. Dagegen haben 43 Sozialisten und 55 Radikal- 
Sozialisten gegen die Regierung gestimmt. 30 Abgeordnete haben sich der Abstimmung 
enthalten, darunter von den Radikal-Sozialisten Caillaux, Noulens und Renault. 28 Ab 
geordnete waren beurlaubt. 
In der Besprechung dieser Abstimmung legten sich die Zeitungen große Zurückhaltung 
auf, insbesondere weil die Zensur es ihnen verbot, etwas von den Maßregeln zu ent 
hüllen, die die Regierung zur Erfüllung der dem Parlament gegebenen Versprechungen 
beabsichtigte. Aber selbst dem Ministerpräsidenten Briand ergebene Blätter waren sehr 
kleinlaut. Das „Petit Journal" gab offen zu, daß die Kammer die Tagesordnung 
Tardieu nur deshalb abgelehnt habe, weil sie dem Lande vorläufig noch das Schauspiel 
eines offenbaren Ministersturzes ersparen wollte.
	        
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